Novak Djokovic vs. Carlos Alcaraz: Warum DAS die neue Rivalität im Tennis ist
Sowohl Novak Djokovic, als auch Rafael Nadal und Roger Federer waren bei ihrem jeweils letzten Grand-Slam-Erfolg mindestens 35 Jahre alt. Dennoch: In diesem zarten Alter von einer "neuen" Ära oder Rivalität zu schreiben, scheint zunächst vermessen. Doch der "Djoker" beweist uns auf maximal beeindruckende Art und Weise, dass das Wort "neu" sehr wohl angebracht ist.
Novak Djokovic durchbricht Dominanz und dominiert selbst - bis heute
Der Serbe war es, der die ursprüngliche Märchen-Rivalität zwischen Federer und Nadal unterbrochen hatte und sie zu einem neuen Kampf der Giganten zwischen ihm und Nadal umgestaltete. Djokovic befindet sich nun, nachdem Federer seine Karriere an den Nagel gehängt hat und Nadal seit Monaten verzweifelt nach seiner Form der Vorsaisons sucht, alleine auf weiter Flur.
Dies untermauerte er zuletzt bei den ersten beiden Grand Slams 2023: Die Australian Open gewann er mit nur einem Satzverlust und ohne jede Schwächephase in den entscheidenden Matches und Phasen. Auch bei den French Open wurde ihm (fast) niemand auch nur im Ansatz gefährlich. Die Auftritte waren derart souverän, dass man niemals wirklich das Gefühl hatte, er könnte das jeweilige Turnier am Ende nicht gewinnen.
Aktuell scheint niemand an das Niveau von Djokovic heranzukommen. Der 23-fache Grand-Slam-Sieger ist topfit und es gibt keine Anzeichen dafür, dass er nicht mindestens noch zwei oder drei Saisons auf eben jenem Level spielen kann.
Carlos Alcaraz: Teenager in Djokovics Abwesenheit auf Rekordjagd
Alleine auf weiter Flur - nunja, nicht ganz. Es gibt da ein gewisses, spanisches Toptalent namens Carlos Alcaraz. Der Stern des jungen Spaniers ging in der vergangenen Saison auf, als er im Februar 2022 zunächst das ATP 500-Turnier in Rio de Janeiro gewann und einige Wochen später erst im Halbfinale von Indian Wells knapp an Nadal scheiterte, um sich wiederum zwei Wochen später bei den Miami Open zum ersten Mal zum Champion eines ATP 1000er-Turniers krönen zu lassen.
Es folgten weiteren Triumphe in Barcelona (ATP 500) und Madrid (ATP 1000), wo er innerhalb von zwei Tagen sowohl Nadal, als auch Djokovic eliminierte. Der ganz große Wurf gelang Alcaraz dann im September, als er sich nach dem Sieg bei den US Open erstmals Grand-Slam-Gewinner nennen durfte. Mit dem Triumph wurde Alcaraz nebenbei zur jüngsten Nummer 1 der Welt
Alle Errungenschaften, außer der Sieg in Madrid, gelangen dem 19-Jährigen in Abwesenheit von Djokovic, der 2022 aufgrund seines Impfstatus in vielen Regionen der Welt nicht antreten durfte. Genau das wurde dem Mann aus El Palmar auch seit jenem Gewinn bei den US Open nachgesagt: dass er nur gewinnen konnte, weil Djokovic nicht angetreten war.
Aus der Verletzungspause zurück ins Rampenlicht
Alcaraz stimmte dem sogar öffentlich zu, danach wurde es jedoch erstmal ruhig um den Youngster - auch wegen Verletzungsproblemen: Zunächst verpasste er das Nitto ATP Finale aufgrund eines Risses in der Bauchmuskulatur. Mit einer Verletzung am rechten Knie musste er dann auch die Australian Open absagen. Alcaraz rückte ein wenig aus dem Rampenlicht, verlor die Position 1 im Ranking - und generell sprach nach der Machtdemonstration in Melbourne die ganze Welt nur von der Stärke Djokovics.
Doch Stand seit April 2023 ist Carlos Alcaraz zurück - und er scheint noch besser zu sein als im letzten Jahr. Was ihm damals noch von Nadal verwährt wurde, nahm er sich in dieser Saison eiskalt: Ohne Satzverlust marschierte er zu seinem ersten Triumph bei Indian Wells. Wenige Woche gelang ihm dasselbe Kunststück in Barcelona.
Bei den French Open schien er der Mann zu sein, der Djokovic trotzden kann - und im Halbfinale kam es dann auch zu dem lang ersehnten Halbfinale zwischen den beiden. Alcaraz schien leichte Vorteile zu haben, doch nach 1:1 in Sätzen in einem hoch intensiven Match plagten ihn Krämpfe. Aufgeben wollte er nicht, doch in den beiden weiteren Sätzen büßte er entscheidene Prozentpunkte ein und verlo klanglos 1:6 1:6.
Ein bitteres Erlebnis für Alcaraz: "Ich habe mich selbst enttäuscht. Ich habe mich vor dem Match großartig gefühlt. Aber so etwas kann passieren, damit muss ich jetzt leben", sagte er nach dem letzten Aufeinandertreffen mit dem Djoker.
Die Entwicklung des Carlos Alcaraz
Dennoch: Was seinem Spiel in 2023 besonders guttut, ist die Reife. Hat Alcaraz in der vergangenen Saison noch regelmäßig in drei, beziehungsweise fünf Sätzen "nachsitzen" müssen, wirkt er aktuell viel konstanter und weniger fehleranfällig. Wenn man sich die Entwicklung des Spielers in den letzten beiden Saisons ansieht, kann man durchaus zur Fragestellung kommen, wo die Grenzen dieses kompletten Carlos Alcaraz liegen sollen?
"Er schlägt die Vorhand härter als jeder andere", bewunderte Daniil Medvedev während des Turniers in Indian Wells. Auf der Tour ist er darüber hinaus schon jetzt gefürchtet für seine tödlichen Stoppbälle und sticht regelmäßig mit beängstigend abgeklärter Gewinnermentalität hervor. Eine weitere Eigenschaft, die an einen jungen Nadal oder Djokovic erinnern, ist die Ambition. "Ich will wie die Big 3 sein", erklärte "Carlito" im Rahmen von Indian Wells selbstbewusst.
Aus sportlicher Sicht spricht aktuell nur wenig dagegen. Tennis-Legende Mats Wilander ist sich schon jetzt sicher, dass "90% der Spieler keine Chance" gegen Alcaraz haben: "Das ist das, was Djokovic, Federer und Nadal fast 20 Jahre lang im Tennis gemacht haben. Nachdem er Medvedev im Finale in Indian Wells zerstört hat, glaube ich zu 100%, dass Carlos Alcaraz mehr als das Zeug hat, die Nummer 1 der Welt zu werden, sein Spiel hat buchstäblich alles."
Alcaraz also auf dem Level der Big 3? Damit gehe ich d'accord, zumindest ist er nicht weit weg davon. Seit mehreren Jahren wird über die Nachfolger von Djokovic, Nadal und Federer spekuliert, und bei allem Respekt: Die Gruppe um Medevev, Alex Zverev und Stefanos Tsitsipas war nie auch nur in der Nähe davon. Doch Alcaraz hat das gewisse Etwas, er kann die Geschichte des Sports ändern und den Sport auf ein neues Level heben.
Carlos Alcaraz vs. Novak Djokovic: Eine neue Rivalität?
Nach dem phänomenalen Alcaraz-Sieg im Finale von Wimbledon und einem maximal intensiven Finalen in Cincinnati wartet die ganze Welt nun auf weitere Aufeinandertreffen von Alcaraz und Djokovic. Auf Aufeinandertreffen, in denen alles möglich ist: Alcarac mit Sturm, Drang und der Zauberhand, oder Djokovic, die mentale Stärke in Person, die keine Fehler macht, wenn es darauf ankommt.
Zwei Faktoren entscheiden darüber, ob in den nächsten Jahren eine neue Rivalität der Giganten zwischen Djokovic und Alcaraz, wie sie bereits zwischen Nadal und Federer, sowie zwischen Djokovic und Nadal existiert hatte, entstehen kann.
Erstens, kann Alcaraz konstant sein Niveau halten oder sogar verbessern, bleibt er verletzungsfrei und findet er Mittel im direkten Duell mit Djokovic? Falls Alcaraz diese Fragen positiv beantworten kann, hat er das Zeug dazu, Djokovic schon vor dessen Ruhestand dauerhaft als Nummer 1 des Sports zu verdrängen, ihn praktisch "vorzeitig in den Ruhestand zu schicken".
Auf der Gegenseite muss Djokovic unter Beweis stellen, wie lange er noch auf dem aktuellen Niveau spielen kann. Die Vorzeichen stehen hier auf "lange", denn derzeit scheint er sich in besserer Form zu befinden als je zuvor. Seit Jahren ernährt sich der zweifache Vater auf Basis von Gemüse, Bohnen, weißem Fleisch, Fisch, Obst, Nüsse, Samen, Kichererbsen, Linsen und gesunden Ölen - und das zahlt sich nun aus. Der Serbe wirkt tatsächlich eher so, als wäre er in seinen Zwanzigern.
Aufgrund dieser Faktoren bin ich überzeugt, dass wir zumindest über die nächsten zwei Jahre hinweg einen Zweikampf an der Spitze erleben werden - potenziell sogar länger - und dass Djokovic und Alcaraz die nächsten Grand Slams, wenn beide fit bleiben, ausschließlich unter sich aus machen. Der Trend geht bereits in diese Richtung: French Open Halbfinale, Wimbledon Finale, Cincinnati Masters - geht der Sieg auch bei den US Open über die beiden?