Tadej Pogacar und der Auspuff: Kohlenmonoxid als Treibstoff für die Tour de France?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn "Kohlenmonoxid" ist zu einer der zentralen Vokabeln der dritten Woche der Tour de France geworden. Nachdem das US-Portal Escape Collapse über den Einsatz von Kohlenmonoxid-Kreislaufgeräten im UAE-Team von Tour-Spitzenreiter Pogacar und in der Visma-Equipe von Titelverteidiger Jonas Vingegaard berichtet hatte, räumten beide Mannschaften den Gebrauch ein. Und seitdem läuft die Debatte, ob die Gerätschaften zu Testzwecken oder doch zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Denn beides ist möglich.
Pogacar jedenfalls ruderte mit einem Tag Verspätung per "Achso"-Ansprache zurück. Im ersten Anlauf habe er die Frage missverstanden, bedauerte Pogacar, und besäße sehr wohl übersichtliche Kohlenmonoxid-Erfahrungen. "Das ist ein einfacher Test, mit dem man messen kann, wie man im Höhentrainingslager auf die Höhe reagiert", sagte er: "Man bläst eine Minute in einen Ballon, dann sieht man den Hämoglobin-Wert. Und dann wiederholt man das nach zwei Wochen."
Pogacar habe aber nur den ersten Test absolviert: "Die Frau, die das machen sollte, ist beim zweiten Mal einfach nicht mehr erschienen." Nun ja. "Auf jeden Fall ist es nicht so, dass wir jeden Tag in irgendwelche Pfeifen pusten."
Verbesserte Sauerstoffaufnahme
Laut Escape Collective lassen sich Kohlenmonoxid-Kreislaufgeräte aber auch anders nutzen: um Kohlenmonoxid einzuatmen. Dies steigert die Fähigkeit der maximalen Sauerstoffaufnahme, ein simuliertes Höhentraining also.
Die Ärztezeitung berichtete 2020 von einer US-Studie. Drei Wochen lang inhalierten Probanden fünfmal täglich Kohlenmonoxid. Ergebnis: "Die Hämoglobinmasse stieg kontinuierlich um knapp fünf Prozent. Die Zunahme blieb in den folgenden drei Wochen bestehen." Ein feines Ergebnis für einen Ausdauersportler. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat das Thema im Blick, verboten ist das Prozedere derzeit nicht.
Selbst wenn Pogacar und Co. nicht nur testpusten, hätte die Tour keinen Dopingskandal. Sondern nur einen weiteren Hinweis darauf, dass sich Spitzenteams weiter in ethischen und medizinischen Grenzbereichen bewegen. So wie beim Thema Ketone, als Nahrungsergänzungs-Mittel umstritten, aber als Ausdauer-Booster beliebt.
Pogacar-Rekorde werfen fragen auf
Ketone, Kohlenmonoxid - Kredibilität: Nach der zügellosen Medizinschlacht um die Jahrtausendwende kämpft der Radsport weiterhin um Glaubwürdigkeit. Und diese wird durch die neuen Diskussionen nicht gesteigert. Zumal Pogacar bei der laufenden Tour groteske Wattwerte erreicht und - wenngleich nicht immer hunderprozentig vergleichbare - Kletterrekorde zerschmettert, die von Marco Pantani oder Lance Armstrong gehalten wurden. Bei aller technischen Evolution: bemerkenswert.
"Eine Domination, die Fragen aufwirft", titelte das Tour-Mutterorgan L'Equipe nach Pogacars Pyrenäen-Gala. Fragen, die Pogacar schon aus dem Grund stets begleiten, weil sein UAE-Teamchef Mauro Gianetti und Teammanager Matxin Fernandez einst in den Nullerjahren das hochgradig manipulierende Saunier-Duval-Team leiteten.
Pogacar dozierte am zweiten Ruhetag darüber, dass zur Entwicklung im Radsport eine veränderte Essenskultur gehöre, dass ein "normales Frühstück" mit Pfannkuchen oder Brot nun wieder serviert werde: "Ich denke, diese kleinen Sachen machen schon einen Unterschied, dass man keine Pasta mehr am Morgen essen muss."