Roma gegen Lazio: Was das Derby della Capitale für die Hauptstadt Italiens bedeutet
Wie bei den großen Feierlichkeiten im alten Rom besteht das Derby della Capitale aus zwei Ebenen: Die öffentliche Ebene, ein einfaches Fußballspiel mit seinem Verlauf und Ergebnis, und die private Ebene mit allem, was abseits der großen Bühne stattfindet. Während in der Antike im Anschluss an die öffentlichen Darbietungen wild gefeiert und alle Hemmungen verworfen wurden, spielt sich auch aktuell ein großer Teil des Derbys im privaten Raum ab.
Alleine geographisch liegen die Fans der beiden Rivalen so nah beieinander, dass man sich praktisch kaum aus dem Weg gehen kann. Der Weg von der Haustür zum Büro kann also schnell zum Spießrutenlauf werden, wenn am Abend zuvor die Mannschaft des Nachbarn den großen Sieg eingefahren hat. Um das römische Derby international zu vergleichen, bietet sich am ehesten der Blick nach Athen oder Belgrad an, wo es ebenso zwei dominierende Vereine gibt und sonst fußballerisch lange nichts. Während es beispielsweise in der englischen Hauptstadt wegen zu vieler Vereine keine echten Derbys gibt oder in Schottland das Derby zwischen Celtic und den Rangers religiöse und kulturelle Wurzeln hat, lebt das Derby della Capitale gerade davon, dass die Fangruppen der Roma und von Lazio oft denselben sozialen Sphären angehören.
Selbst politisch, wo sich die beiden Kurven lange erbittert gegenüberstanden, gibt es heute kaum noch Unterschiede: Die Ultras beider Vereine sind überwiegend rechts. Natürlich würde ein hartgesottener Fan der Giallorossi oder der Biancocelesti immer noch Unterschiede finden, auch geografische. Doch anders als beispielsweise in Berlin, wo die Verteilung der Anhänger von Hertha BSC und dem 1. FC Union historisch bedingt auch geografisch klar getrennt ist, wohnen Lazio- und AS Rom-Fans oft Tür an Tür. Historisch ist das Derby in der italienischen Hauptstadt auch eine Gegenüberstellung des "coolen" und populären Nordens der Metropole gegen den gewissermaßen "groben" Süden. In der Realität ist das aber nur noch selten der Fall, denn Romansti und Laziali sind in allen Vierteln zu finden.
Ein wichtiger Unterschied aber liegt in der Masse der Anhänger: Filippo Celata, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität La Sapienza, hat herausgefunden, dass auf einen Anhänger Lazios drei Fans der AS kommen. Dieses Verhältnis zieht sich durch die gesamte Stadt, lediglich außerhalb der Stadtmauern verwässert die zahlenmäßige Übermacht der Roma etwas. In keinem der römischen Stadtbezirke hat Celata ein Übergewicht von Lazio-Fans ausmachen können, doch einige der Vororte seien laut ihm eher blau-weiß geprägt. Eine passende Analyse, leben in Rom (ähnlich wie in deutschen Großstädten) viele der wohlhabenden Einwohner – traditionell eher Lazio zugewandt – eher am Rand der Stadt und meiden das laute Leben der Innenstadt.
Während es für Lazio demnach schwierig ist, eine wirkliche Heimat innerhalb ihrer Stadt auszumachen, identifiziert sich die Roma klar mit dem Campo Testaccio, wo der Verein entstanden ist und wo man noch im letzten Jahr den Triumph in der UEFA Europa Conference League feierte. À propos feiern: Das Verbindende und die eigentliche Sinnstiftung des römischen Derbys liegt nicht in geografischen Überlegungen oder politischen Haltungen, es kommt von Erlebnissen, die beide Kurven miteinander teilen. Die Rede ist von dem Gefühl, im italienischen Fußball nur die zweite Geige zu spielen.
Weit entfernt vom Ruhm von Inter oder AC Mailand, von Juventus oder Grande Torino haben die Roma und Lazio die großen nationalen (drei Scudettos für Rom und zwei für Lazio) und internationalen Triumphe (ein Pokal der Pokalsieger und ein UEFA-Superpokal für Lazio, eine Conference League und zwei inzwischen abgeschaffte Pokale wie der Messepokal und der anglo-italienische Pokal für die Roma) meist als Außenstehende erlebt. Etwas pathetisch gesagt leben die Romanisti und die Laziali von Sommernachtsträumen und trösten sich Jahr für Jahr damit, dass sie in der Tabelle vor ihren Rivalen stehen. Und wenn nicht, dann ja vielleicht nächstes Jahr.