Recap 19. Spieltag: Märchenstunde in Dortmund, Letsch mit perfekter Heimbilanz
Der US-amerikanische Psychologe und Pädagoge Laurence J. Peter stellte einst eine interessante Behauptung auf: "In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen." Soll heißen: Eines Tages stößt jeder an seine Grenzen. Was in der 3. Liga funktioniert, reicht für die 2. Liga nicht mehr, was in der 2. Liga Erfolg verspricht, funktioniert in der Bundesliga nur bedingt.
André Breitenreiter ist ganz gewiss ein Fußballfachmann. Trotz der Fähigkeit, Talente weiterzuentwickeln, trotz einer Siegesquote von 56 % in Liga 2, trotz Meistertitels in der Schweiz - in der Bundesliga wollte es für Breitenreiter nie so recht klappen. Der Erfolg in Deutschlands höchster Spielklasse blieb überall aus - mit Paderborn, mit H96, mit Schalke und mit Hoffenheim. In 140 Partien gewann Breitenreiter nur 39-mal. Der aktuelle Kader der TSG entschuldigt die schwachen Ergebnisse zuletzt nicht, mit Andrej Kramaric, Baumgartner, Angelino und den Neuzugängen Brooks, Delaney oder Dolberg steht viel Qualität zur Verfügung.
Vielleicht belehrt uns Breitenreiter eines Tages eines besseren. Vielleicht ist er ein großartiger Bundesligatrainer, der einfach noch nicht den passenden Verein gefunden hat. Aber klingt des nicht etwas stark nach Ausrede? Seinen letzten Pflichtspielerfolg fuhr er am 18. Oktober 2022 im DFB-Pokal gegen Schalke ein, es war das letzte Spiel der Knappen unter Trainer Frank Kramer. Nach der klaren 5:2-Pleite beim VfL Bochum ist auch für Breitenreiter Schluss, Pellegrino Matarazzo dürfte ihm nachfolgen. Auch Domenico Tedesco gilt als Kandidat.
Wobei Auswärtsniederlagen in Bochum keine Schande sind und nicht automatisch zu Entlassungen führen müssen. Seit Thomas Letsch Trainer in Bochum ist, gilt der VfL zu Hause als Macht. Eine Macht, der auch Eintracht Frankfurt, Union Berlin, Mönchengladbach und die Hertha zum Opfer gefallen sind. Fünf Heimspiele unter dem neuen Trainer, fünf Siege. Nach dem 19. Spieltag steht Bochum auf Platz 8. Christopher Antwi-Adjei brillierte in Halbzeit eins als dreifacher Assistgeber, den Deutsch-Ghanaer bekam die TSG einfach nicht unter Kontrolle.
Es war einmal ...
Die Tatsache, dass Sebastien Haller wieder von sich behaupten darf, gesund zu sein, sorgt in Dortmund weiterhin für große Emotionen. Nach seiner Hodenkrebserkrankung und intensiver Therapie schreibt Haller weiterhin an seinem persönlichen Märchen und sorgt mittlerweile auch für sportliche Schlagzeilen. Dass der Franzose über enorme Qualität verfügt, wissen Bundesligafans schon lange. Gegen Leverkusen bewies er seinen Wert für den BVB, ließ den Ball vor dem 1:0 durch Adeyemi uneigennützig passieren. Eine Nichtberührung, die sein ungeheures Spielverständnis beispielhaft vor Augen führte.
Am Samstag stand Haller erneut in der Startformation. In der 51. Minute ließ ihn die Freiburger Defensive aus den Augen, Haller erzielte seinen ersten Bundesligatreffer für den neuen Arbeitgeber - und das am Weltkrebstag. Das Westfalenstadion kannte kein Halten mehr - ein Moment, der wohl in jeden Jahresrückblick Eingang finden wird. Dass diese Prognose bereits Anfang Februar mit ziemlicher Gewissheit getroffen werden kann, unterstreicht die Schönheit besagten Augenblicks.
Emotionen sind in Dortmund von großer Bedeutung. Die Truppe von Edin Terzic reitet auf einer Welle positiver Gefühle, beim 5:1 gegen den SC Freiburg profitierte man zusätzlich von einer harten Gelb-Roten Karte gegen Kiliann Sildillia. Eine Ampelkarte, die Christian Streich - wie auch einige andere Entscheidungen von Referee Schröder - so sehr zur Weißglut brachten, dass sich die Trainerlegende in Minute 77 selbst die Rote Karte einhandelte. "Ich ärgere mich maßlos über mich selbst, vielleicht sogar ein bisschen mehr als über die Unverhältnismäßigkeit, wie heute dieses Spiel geleitet wurde." Modeberater Streich habe Robert Schröder empfohlen, sich ein Gelbes Trikot überzuziehen. Der Schiedsrichter ignorierte Streich' Hinweise, beendete das Duell in schwarzer Kleidung.
Begonnen hat der Spieltag aber nicht am Weltkrebstag und nicht mit der Entlassung von Breitenreiter. Sondern mit dem Duell zwischen Augsburg und Leverkusen. Der FCA gewann das Heimspiel gegen Leverkusen ebenso knapp wie verdient mit 1:0. Mergim Berisha erzielte den entscheidenden Treffer, die Mannen von Xabi Alonso wirkten teils etwas mutlos. Das Fehlen von Florian Wirtz - aus Gründen der Belastungssteuerung ließ ihn Alonso zunächst auf der Bank - machte sich bemerkbar, Bayer verlor zum zweiten Mal in Folge.
"Es war das erwartet enge Spiel mit vielen Zweikämpfen und wenigen Torchancen auf beiden Seiten. Ich fand, dass Union in der ersten und wir in der zweiten Halbzeit einen Tick besser waren - und dass wir eigentlich einen Punkt verdient gehabt hätten", so der sichtlich enttäuschte Bo Svensson nach dem 1:2 bei Union Berlin. Die Mainzer hatten ihre Momente, trafen aber das Tor nur selten. Zwei Treffer von Kevin Behrens und Jordan Siebatcheu machten den Unterschied. Für Behrens war es bereits der dritte Pflichtspieltreffer im neuen Kalenderjahr. Jordan traf zum ersten Mal seit September wieder für Union - und das fünf Minuten nach seiner Einwechslung. Kurzzeitig übernahmen die Köpenicker die Tabellenführung. Die ging in der Zwischenzeit wieder an die Bayern verloren.
Ans Treffen gewöhnt ist Randal Kolo Muani. Der Franzose erzielte beim 3:0 gegen Hertha BSC Berlin die ersten beiden Treffer und hält bei neun Saisontoren sowie zehn direkten Vorlagen. Seine Handlungsschnelligkeit ist ligaweit unübertroffen, außerdem ist er ein Segen für seine Mitspieler. Immer wieder bietet sich Kolo Muani für Tiefenläufe an oder steht genau dort, wo sich der ballführende Kollege die eigene Sturmspitze hin wünscht. Das Verständnis mit Kreativposten Götze funktioniert bestens. Bei der Hertha ist weiterhin Abstiegskampf angesagt - auch ohne Fredi Bobic. Als einzige Bundesligamannschaft blieb die Alte Dame im neuen Jahr noch punktelos.
In Köln lieferte Torhüter Marvin Schwäbe eine hervorragende Leistung ab und sicherte seinem Team den nächsten Punkt. Nach zuletzt drei Siegen in Folge (Liga und Pokal) musste sich Leipzigs Cheftrainer Marco Rose mit einem torlosen Remis zufriedengeben. Statt eine Wutrede in die Welt zu setzen, strich er nach Spielende die positiven Aspekte des Spiels heraus: "Für alle Zuschauer heute war das ein recht ansehnliches 0:0. Der Plan war, Köln das extreme Pressing zu nehmen, was wir über weite Strecken geschafft haben." Etwas überschattet wurde das Duell lediglich von den hasserfüllten Transparenten gegen RB-Sportdirektor Max Eberl.
Der FC Schalke 04 ergaunerte sich ebenfalls ein 0:0-Unentschieden. Thomas Reis hat seine Mannschaft auf einen zweikampfintensiven Spielstil eingeschworen, die gastgebenden Gladbacher ließen sich diese Spielweise ohne große Gegenwehr aufzwingen. Für die Fohlenelf setzte es nach Spielende ein Pfeifkonzert. Borussia-Trainer Daniel Farke nahm das auf die leichte Schulter: "Ich finde das ganz normal. Ich habe in der Kabine auch nicht Applaus geklatscht - mir war auch eher nach Pfeifen zumute, wenn ich ehrlich bin." Bei den Königsblauen durfte sich Neuzugang Eder Balanta in der Startelf beweisen, der Kolumbianer überzeugte mit viel Kampfkraft - am Ball gibt es aber wohl stärke Spieler in Reis' Kader.
Seltsamer Spielverlauf in Wolfsburg
Als Feuerwehrmann war Bruno Labbadia nach Stuttgart gekommen. Der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle hatte zur Winterpause den Krisenmodus heraufbeschwört. Die Lage sei ernst, ein erneuter Abstieg existenzbedrohend, ein erfahrener Fachmann müsse her. Labbadia gilt als Synonym für biederen, aber kurzfristig erfolgreichen Ergebnisfußball. Also für genau das, was die Fans des Brustrings nach der erfolgreichen Zeit unter Matarazzo und Mislintat für Geschichte hielten. Michael Wimmer verabschiedete sich in die österreichische Liga.
Zur allgemeinen Verwunderung liefert der VfB in der Amtsperiode Labbadia II komplett gegenteilige Leistungen ab. Zwar zeigte der VfB ansehnliche Leistungen, Sieg gab es unter Labbadia aber noch keinen einzigen. Die Stuttgarter befinden sich mittlerweile auf dem Relegationsplatz, auf Rang 17 hat man noch magere zwei Punkte Vorsprung.
Abstiegssorgen sind schon irgendwie doof. Das denkt man sich auch bei Werder Bremen und weil man sich die Sorgenfalten ersparen will, ballerte sich Werder lieber in Richtung Europacup-Plätze. Der erste Treffer durch Jens Stage fiel etwas glücklich, beim 2:0 fusionierten Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch - wie wir es noch im Herbst 2022 gewohnt waren - zur Powercard "Hässliche Vögel". Füllkrug bewies, nicht nur Treffer erzielen, sondern sie auch vorbereiten zu können. Der DFB-Spieler bediente seinen Sturmpartner, der sorgte mit einem satten Schuss für die Entscheidung in Minute 77.
Das Spitzenspiel vom Sonntag stellte die Aussagekraft der Expected-Goal-Statistik infrage. 2,39 Tore wurden vom VfL Wolfsburg erwartet, 0,57 vom FC Bayern. Dennoch gewannen die Münchener 4:2 - ein Sieg nicht der engagierteren, sondern der effizienteren Mannschaft. Trotz des Ausfalls von Choupo-Moting lagen die Gäste nach nur 19 Minuten 3:0 in Führung. Fußball-Deutschland befürchtete bereits ein zweistelliges Ergebnis, doch die Nation hatte die Rechnung ohne Niko Kovac gemacht. Der Wölfe-Coach entschloss sich in Minute 30 von Dreier- auf Viererkette umzustellen. Fortan gewann der VfL Wolfsburg allmählich Oberwasser.
Der nach seiner Auswechslung einen Wutanfall erleidende Maxence Lacroix war durch Jakub Kaminski ersetzt worden. Der polnische Flügelspieler erzielte vor der Pause das 1:3. Nach dem Seitenwechsel dominierte Wolfsburg den Rekordmeister, als Joshua Kimmich sich in Minute 54 eine nicht besonders intelligente Gelb-Rote Karte einhandelte, schien das Comeback möglich. Doch der VfL vergab Torchance um Torchance. Musiala mit einem nach zauberhaftem Solo erzielten Treffer stellte die alten Verhältnisse wieder her. Svanberg konnte in Minute 81 nur noch verkürzen. Somit steht der FCB weiterhin mit einem Punkt Vorsprung auf Union an der Tabellenspitze.
Team der Woche: Borussia Dortmund
Galten die ersten Erfolge im Kalenderjahr 2023 (4:3 gegen Augsburg, 2:1 gegen Mainz) noch als glücklich, hat sich der BVB in den letzten zwei Runden mit sechs Punkten gegen starke Leverkusener und den SC Freiburg endgültig wieder als Spitzenkraft etabliert. Sicher, gegen die Breisgauer kam der Borussia die Überzahl ab Minute 17 stark zugute. Das Traumcomeback von Haller, die Vertragsverlängerung von Moukoko und die Tatsache, dass 30-Millionen-Neuzugang Adeyemi seine hohe Ablöse allmählich rechtfertigt, sorgen für gute Stimmung auf der Gelben Wand. Letztgenannter stellte mit einer Spitzengeschwindigkeit von 36,7 km/h außerdem einen neuen Bundesligarekord auf. Schneller gerannt wurde bislang nur im Berliner Olympiastadion. Dort stellte Usain Bolt einst den Weltrekord im 100-Meter-Sprint auf - und kam zwischenzeitlich auf 44,72 km/h.
Spieler der Woche: Christopher Antwi-Adjei (VfL Bochum)
83 Minuten auf dem Feld, drei Assists, acht kreierte Torchancen. Christopher Antwi-Adjei ist keiner der großen Stars dieser Liga, besitzt aber eine gewisse Unberechenbarkeit, obendrein unfassbares Tempo. Fähigkeiten, die miteinander vereint einen echten Unterschiedsspieler darstellen. Laut Transfermarkt.de hat er einen Listenpreis von einer Million Euro. Kitzelt Thomas Letsch auch in weiterer Zukunft so viel Potenzial aus Antwi-Adjei, wird der dreifache ghanaische Nationalspieler ein entscheidender Faktor im Abstiegskampf werden.
Tor der Woche: Jamal Musiala (Bayern München)
Gute Fußballspieler gibt es viele. Doch während 99 % der Profis durch intensive taktische Schulung und tägliches Training einen gewissen Tunnelblick entwickeln, selten außergewöhnliche Aktionen wagen, hat sich Jamal Musiala seine Eigenart bewahrt. Das 4:1 gegen Wolfsburg dient dieser These als neuerlicher Beweis. Die Bayern gerieten in Unterzahl zunehmend unter Druck, der VfL Wolfsburg vergab auf der Gegenseite eine Vielzahl an Chancen, rückte dem Anschlusstreffer aber näher und näher. Als 21 Spieler und 30.000 Fans mit einer langweiligen Seitenverlagerung rechneten, entschied sich Musiala, mutig ins Dribbling zu gehen. Er fand die Lücke im Abwehrverbund der Wölfe und ließ auch Koen Casteels keine Chance. Ein Moment zum Genießen.