F1-Grand Prix Kanada 2023: Der Circuit Gilles-Villeneuve in der Analyse
Eine Insel, Nagetiere, Möwen und eine "Wall of Champions" vereint auf einer Rennstrecke, das findet man nur auf der Île Notre-Dame. Seit 1978 gastiert die Formel 1 mit wenigen Unterbrechungen auf dem Circuit Gilles-Villeneuve. Der auf einer ursprünglich für die Expo 1967 künstlich aufgeschütteten Insel im Sankt-Lorenz-Strom errichtete Kurs löste damals Mosport – eine Motorsport-Rennstrecke in Clarington, Kanada – als Austragungsort des Kanada Grand Prix ab, weil die dortige Strecke nicht mehr den Sicherheitsstandards gerecht wurde. Die Landschaft rund um die Rennstrecke wird durch Wasser, die Skyline von Montreal, Bäume, Parks und vereinzelte Schiffe auf dem Fluss geprägt.
Ursprünglich hieß die Strecke in Montreal Circuit Île Notre-Dame, wurde jedoch unmittelbar nach dem tödlichen Unfall Gilles Villeneuves in Zolder 1982 zu Ehren des Kanadiers umbenannt. Aufgrund seiner draufgängerischen Fahrweise war er weltweit bei den Motorsportfans beliebt. Der kanadische Volksheld triumphierte zudem 1978 bei der Premiere in Montreal. Viele Jahre später erfreute sich sein Sohn Jacques der Gunst des Publikums und wurde 1997 Formel-1-Weltmeister.
Auch dieses Jahr ist wieder ein Kanadier im Fahrerfeld. Lance Stroll darf in Montreal seinen Heim-Grand Prix fahren. Anlässlich dieser Tatsache haben wir den Fahrer von Aston Martin für euch porträtiert. Schaut gerne in unsere Vorstellung des Kandiers rein.
Die Strecke selbst zählt zu den schnellsten Rennpisten im Formel 1 Kalender und erfordert eine geringe Flügelstellung sowie spätes Bremsen. An vier Stellen erreichen die Fahrer Geschwindigkeiten von über 300 km/h. Die meisten Kurven und Schikanen sind eng und anspruchsvoll und werden von Leitplanken und Betonmauern gesäumt. Diese Streckenbesonderheiten führen am Freitag zu zahlreichen Ausrutschern, da die Piste nur einmal im Jahr befahren wird und daher zu Beginn des Wochenendes sehr rutschig und staubig ist.
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Wall of Champions – Hill, Schumacher und Villeneuve crashten
Technisch gesehen ist der Circuit Gilles-Villeneuve eine echte Herausforderung für die Ingenieure und Fahrer, die perfekte Balance aus Bremsen, Traktion, Aufhängung, Aerodynamik, Motorleistung und Benzinverbrauch finden müssen. Vor allem die Bremsen sind, aufgrund der Kombination aus Hochgeschwindigkeitspassagen und engen Schickanen, gefordert. Bekannt ist der Kurs auch wegen der sogenannten "Wall of Champions" - die Mauer am Ausgang der letzten Schikane, die seit 1999 diesen Namen trägt. Im damaligen Rennen kollidierten der Reihe nach die Weltmeister Damon Hill, Michael Schumacher und Jacques Villeneuve mit der Streckenbegrenzung. Die Schikane wurde seitdem leicht entschärft, zum Beispiel mit dem Entfernen des Kiesbetts, damit die Fahrer ohne Materialschaden abkürzen können. Trotzdem bleibt diese Passage eine entscheidende Stelle, die Konzentration erfordert.
Streckenlayout des Circuit Gilles Villeneuve
Der Circuit Gilles Villeneuve ist ein temporärer Rennkurs, der außerhalb des Rennwochendes vom öffentlichen Straßenverkehr genutzt wird. Die Rennstrecke ist eine der kürzesten und schnellsten Strecken im Rennkalender der Formel 1. Die Streckenlänge beträgt 4,361 km und besteht aus 14 Kurven, davon acht Rechts- und sechs Linkskurven. Der Kurs ist ein wahrer Geschwindigkeitsrausch mit langen Geraden, einem Vollgasanteil von satten 60 Prozent und einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von über 200 km/h. Die Schikanen auf dem Kurs lassen keinerlei Langeweile aufkommen, denn die Fahrer dürfen viermal über 300 km/h beschleunigen und müssen danach genauso oft wieder auf die Bremsen steigen. Lange Geraden, schnelle Kurven und enge Schikanen charakterisieren den Circuit Gilles-Villeneuve.
1,5 Kilometer lange Gerade – Mit über 330 Km/h
Eine Runde auf dem Circuit Gilles Villeneuve beginnt auf der doch recht kurzen Start- und Zielgeraden mit einer leichten Rechtskurve, die in eine Links-Rechtskombination mündet, bei der die Zweite, die Virage Senna eine schwierig zu meisternde 180 Grad Kurve ist und über die Curbs genommen werden sollte. Der Kurvenausgang führt knapp an einer Mauer vorbei und nur wenig Auslaufzonen auf beiden Seiten bietet. Ein richtiges Nadelöhr, das schon den ein oder anderen Startunfall ausgelöst hat. Auf dem Scheitelpunkt dieser Kurve ist auch die Boxengassenausfahrt eingebunden.
Nach einer kurzen, leicht nach rechts führenden Passage folgt die nächste Schikane, die bei zu harter Nutzung der Curbs recht schnell an der Bande enden kann. Zumindest werden die Mauern auch gerne von der einen oder anderen Felge geküsst. Nach dieser Rechts-Linksschikane folgt ein kleines Stück gerade mit anschließender Vollgasrechts, die man tunlichst ganz links anfahren sollte. Beim Kurvenausgang muss man dann schon wieder bremsen, um die folgende Kurvenkombination Links – Rechts mit vorsichtiger zu Hilfenahme der Curbs zu meistern. Danach folgt wieder ein Vollgasstück, welches allerdings wieder in einer leicht zu verpassenden Rechts-Linksschikane mündet, deren Ausgang wieder nah an der Mauer vorbeiführt. Die folgende Zufahrt auf die Haarnadelkurve vollführt einen leichten Bogen nach links und setzt ein präzises und gleichermaßen hartes Anbremsen voraus, um den Scheitelpunkt der Pits Hairpin genau zu treffen. Es ist vermutlich die Stelle mit der besten Überholmöglichkeit – kurz vor der Haarnadelkurve.
Ganz wichtig, den Kurvenausgang gut zu erwischen, um nach einer sanften Rechts-Links-Kurvenkombination den ganzen Speed mit auf die gut anderthalb Kilometer langen Gerade zu nehmen. Hier können die Fahrer endlich den ganzen Speed ihrer F1-Boliden ausfahren – teilweise werden sogar längere Übersetzungen verwendet, um einen höheren Topspeed-Wert zu erreichen. DRS Sektor, Flügel flach gestellt und mit Tempo weit über 330 Km/h gehts die längste Gerade des Kurses hinunter. Doch die absolute Krönung der Strecke wartet noch auf die Fahrer. Die legendäre "Wall of Champions"-Schikane. Am Ende des längsten Vollgasanteils des Kurses wartet entweder geradezu die Boxeneinfahrt oder aus vollem Tempo der Anbremspunkt der letzten Schikane vor Start und Ziel mit einer schwierigen Rechts-Linkskombination, die es wie kaum eine Zweite im Rennkalender in sich hat und die Fahrer an der Wall of Champions vorbeiführt - wer hier nicht schweißgebadet an der Mauer vorbeifliegt, ist selbst schuld. Denn oft genug ging es auch geradewegs in die Wall of Champions. Überwinden die Fahrer diese Hürde, führt sie die letzte Kurve wieder auf die Start- und Zielgerade zurück. Geschafft!
Von schwierigen Wetterbedingungen, flinken Nagern und Möwen
Montreal ist jedoch auch für seine unberechenbaren Wetterbedingungen bekannt, die den Grand Prix zu einer besonderen Herausforderung machen. Nicht selten verwandelt sich die Raserei auf der 4,361 km langen Hochgeschwindigkeitsstrecke in einen Kampf gegen Regen und Kälte. Doch die Bedingungen sind nur ein Faktor auf diesem anspruchsvollen Kurs. Auch flinke Nager, die das ganze Jahr auf der grünen Ile Notre-Dame wohnen und während des Rennwochenendes keinen Grund sehen, ihre Unterkunft zu wechseln, haben schon den einen oder anderen Fahrer überrascht.
Doch nicht nur Nager fühlen sich auf dem Circuit Gilles Villeneuve pudelwohl. In der elften Runde des Formel 1 Grand Prix 2016 im Senna-S trug es sich zu. Ein Paar Möwen stand dort auf dem Asphalt und wich keinen Zentimeter zur Seite, obwohl Sebastian Vettel mit voller Geschwindigkeit dort ankam. Der zu dem Zeitpunkt führende Ferrari-Pilot ließ sich davon irritieren, verbremste sich, und verlor ein paar Meter Vorsprung auf Hamilton. Bei der FIA-Pressekonferenz unmittelbar nach dem Rennen sagte Vettel "Ich glaube, das war ein Möwen-Pärchen, das Selbstmord begehen wollte", und beschuldigte Hamilton Augenzwinkernd "Lewis war das egal, daher hat er da ziemlich viel Zeit aufgeholt, ungefähr eine halbe Sekunde. Aber ich wollte dem Pärchen nicht den Gefallen tun, sie für immer zu verabschieden. Als Lewis dann an die Stelle kam, flogen sie einfach weg. Das war nicht fair! Ich bremse für Tiere, Lewis nicht."
Rekordweltmeister auch Rekordsieger in Kanada
Trotzdem die "Wall of Champions“ schon so manchen Weltmeister das Rennen gekostet hat – im Übrigen auch Weltmeister Sebastian Vettel erwischte es 2011, allerdings im freien Training – gibt es auf dem Circuit Gilles-Villeneuve auch Fahrer, die regelmäßig triumphieren. Rekordsieger sind die beiden Rekordweltmeister Michael Schumacher und Lewis Hamilton, die jeweils sieben Mal auf dem Podium standen. Hamilton feierte hier im Jahr 2007 sogar seinen ersten Sieg beim Kanada-Grand-Prix. Die Absage des Rennens in den Jahren 2020 und 2021 beraubte den Briten coronabedingt weiterer Chancen auf den Sieg.
Die Circuit Gilles-Villeneuve ist auch bekannt für seine spektakuläre Atmosphäre. Die Fans sind hier besonders enthusiastisch und feiern jede einzelne Runde, als ob es die letzte wäre. Besonders beeindruckend ist die Kulisse, wenn die Fahrer den Haarnadelknick von der Victoria Bridge in Angriff nehmen und dabei mit über 280 km/h um die enge Kurve donnern. Es ist kein Wunder, dass dieser Kurs so viele Emotionen bei den Fahrern weckt. In jeder Kurve lauert ein Risiko und jede Schikane stellt eine neue Herausforderung dar. Besonders zum Rennstart stellt der Straßenkurs Fahrer und Teams vor große Aufgaben. Die Gripverhältnisse sind schwierig und die Bremsen werden enorm beansprucht. Doch dann kommen die langen Geraden und die Low-Downforce-Aerodynamik so richtig zur Geltung. Kurz, der Circuit Gilles Villeneuve ist eine unglaubliche Strecke, die einfach zum Träumen und Staunen einlädt und wir können es kaum erwarten, das nächste Rennen auf dieser großartigen Strecke zu erleben!