Wie Bolt und Jordan? US-Sprinter Noah Lyles hebt ab zum Höhenflug
Noah Lyles lächelte sein breitestes Grinsen. "Es fühlt sich so gut an", sagte der schnellste Mann der Welt, nachdem es vollbracht war: "So gut." Es musste Gold sein, nichts anderes zählte für Lyles, er hatte ja der ganzen Welt seinen Olympia-Triumph angekündigt. Es wurde ein historischer Thriller.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Lyles erlöst wurde. Doch die Kampfrichter mussten beim Auswerten des Zielfotos ja ganz genau hinschauen, am Ende hatte der US-Sprintstar nur winzige 0,005 Sekunden Vorsprung auf seinen Herausforderer Kishane Thompson (Jamaika). Beide waren nach 100 m in 9,79 Sekunden im Ziel, doch Lyles schob noch irgendwie seine Schulter einen Tick nach vorne.
Und erfüllte so in der knappsten Entscheidung der Olympia-Geschichte seine Mission: Die USA hatten 20 lange Jahre auf einen Olympiasieger über die Königsstrecke warten müssen. Lyles beendet den Fluch. "Danke, Gott", flüsterte der 27-Jährige immer wieder erleichtert in den Himmel von Paris.
Riesige Erwartungen
Ein Scheitern hätte die Heimat nicht akzeptiert, zumal Sha'Carri Richardson bei den Frauen zuvor "nur" Zweite geworden war. Der Druck auf Lyles war also maximal, der Weltmeister wusste, dass es sein Moment werden musste, um das Erbe von Usain Bolt als Superstar der Leichtathletik antreten zu können. Und Lyles lieferte. "Ich bin der Wolf unter den Wölfen", sagte er nach dem Spektakel.
Unmittelbar vor dem Finale rief Lyles noch einmal bei seiner Therapeutin an "und sie sagte: 'Du musst loslassen, du musst es fließen lassen'", sagte Lyles. Und tatsächlich: Er ließ es mit einem unglaublichen Finish geschehen.
Doch Gold über die 100 m soll für Lyles nur der Anfang gewesen sein. Im Stade de France peilt er nicht eine, nicht zwei, nicht drei, sondern gleich vier Triumphe an. Aber Lyles geht es um viel mehr als nur Medaillen. Dem Kumpel und Trainingspartner von Gina Lückenkemper geht es viel mehr darum, ein Vermächtnis zu hinterlassen. Wie einst Usain Bolt.
Auf den Spuren einer Legende
Viele haben versucht, Nachfolger der Legende aus Jamaika zu werden. Alle sind bisher gescheitert. Aber Lyles könnte die Lücke womöglich tatsächlich füllen, er bringt alles mit. Charisma, Charme, die Lust zur Show, flotte Sprüche - und eine bewegende Geschichte, wie sie nicht nur die Amerikaner lieben.
"Ich habe Asthma, Allergien, Legasthenie, ADS, Angstzustände und Depressionen", schrieb Lyles in einer emotionalen Botschaft in den Sozialen Netzwerken an seine Fans: "Aber ich sage Euch, dass das, was Ihr habt, nicht definiert, was Ihr werden könnt. Ihr könnt es auch schaffen."
Lyles musste immer kämpfen. In der Highschool wurde er oft gehänselt, die Eltern ließen sich früh scheiden, seine Mutter Keisha zog ihn und den ebenfalls sprintenden Bruder alleine groß, nicht immer war genug Essen und Geld da.
Doch Lyles biss sich durch. Und nun hofft er auf das große Geld. "Ich will meinen eigenen Schuh", sagte Lyles, wie ihn einst Basketball-Legende Michael Jordan bekam: "Ganz im Ernst. Ich will einen Sneaker. Mit Spikes lässt sich kein Geld verdienen."
Und so holte Lyles Olympia-Gold über die 100 m nach 20 Jahren zurück in die USA geholt, nun peilt er das Double an. Zu "100 Prozent" werde er auch Gold über die 200 m gewinnen, sagte Lyles, der auf der lila Bahn insgesamt vier Triumphe anpeilt. Nämlich noch mit den Staffeln über 4x100 und 4x400 m.