WM-Vorschau Gruppe F: Schwierige Aufgabe für Titelaspirant Belgien
Favorit: Belgien
Große Namen sind im belgischen Kader keine Rarität. Lukaku, Eden Hazard oder De Bruyne prägten die letzte Dekade im europäischen Vereinsfußball und drückten traditionsreichen Spitzenvereinen ihren Stempel auf. Thibaut Courtouis ist amtierender Welttorhüter und brachte beim erfolgreichen Champions League Finale den FC Liverpool mit einem echten Sahnetag zur Verzweiflung. Neben den absoluten Superstars haben auch andere arrivierte Kräfte ihr Potenzial bereits unter Beweis gestellt. Youri Tielemans etwa oder Yannick Ferreira Carrasco.
Für die goldene Generation ist es die letzte Möglichkeit, sich für den WM-Titel zu empfehlen. Zwar produziert Belgien unverändert große Talente, die enorme Qualitätsdichte , wie sie im aktuellen Aufgebot herrscht, wird jedoch nur schwer wiederholt werden können. Viel läuft bei Belgien über die Außenbahnen, die Fäden in der Hand hat jedoch City-Star De Bruyne. Belgiens Rekordtorschütze Romelu Lukaku (68 Treffer) steht im Aufgebot, ist wegen einer Muskelverletzung aber nicht hundertprozentig fit. Für einige Einsätze im späteren Turnierverlauf wird es jedenfalls reichen.
Bei der letzten WM wurde Belgien Dritter, beim ersten Auftritt der tonangebenden Generation 2014 hatte sich die fehlende Turniererfahrung bemerkbar gemacht. Nach einigen knappen Sieg gegen schwächere Gegner schied man im Viertelfinale verdientermaßen aus, der spätere Finalist Argentinien zeigte den Roten Teufeln die Grenzen auf. 2022 wird vieles anders sein. Die Mannschaft kennt einander bestens und agiert auch in kritischen Momenten nervenstark.
Star der Mannschaft: Belgien hat viele Spieler, die auf Weltklasse-Niveau performen. Kaum ein Spieler bringt Woche für Woche in einer Spitzenliga so konstant Spitzenleistungen wie Kevin de Bruyne. Der rothaarige Guardiola-Schützling würde dank seiner einzigartigen Schusstechnik und seinem Spielverständnis bei jeder Mannschaft herausragen.
Größter Erfolg: Vize-Europameister 1980, WM-Halbfinale 1986, 2018
Flashscore-Prognose: Belgien will sich endlich belohnen und peilt in Katar den Finaleinzug an. Einige arrivierte Spieler befinden sich zwar nicht in Topform, doch der Mannschaftskern konnte viel gemeinsame Erfahrung sammeln. Roberto Martinez ist ein für Nationalteam-Verhältnisse ungewöhnlich guter Trainer und bereits seit 2016 für das kleine Königreich aktiv. Der Himmel ist die Grenze, wir trauen Belgien den Finaleinzug ohne weiteres zu - obgleich ein spielerisches Feuerwerk ausbleiben wird.
Verfolger: Kroatien
Bei Vize-Weltmeister Kroatien steht und fällt so einiges mit dem spielstarken Zentrum. Marcelo Brozović, Mateo Kovačić und natürlich Luka Modrić geben ihrer Mannschaft Stabilität, können mit ihrer Passstärke auch ohne große Vorankündigung Gefahr erzeugen und sind vor allem auch bei Standardsituationen ein erheblicher Erfolgsfaktor. Selbst wenn einer der drei ausfällt: Lovro Majer und Jungspund Luka Sučić können jederzeit einspringen.
Die goldene Generation der Vatreni wird langsam älter. Für Modric ist die Weltmeisterschaft in Katar die letzte Chance, mit der Nationalmannschaft einen Titel zu gewinnen. Auf dem Platz hat die Mannschaft von Trainer Zlatko Dalić aber weiterhin Problemstellen. Hoffenheims Andrej Kramarić in das System einzuordnen ist keine einfache Aufgabe, denn im Nationalteam mimt der spielstarke Angreifer nur ungern die Solospitze. Bruno Petković könnte einspringen.
Galt lange Zeit die Abwehr als Herd der Unsicherheit, konnten sich Altstar Lovren und Co. zuletzt stabilisieren. In der Nations League konnte eine schwierige Gruppe mit bislang übermächtigen Franzosen trotz einer Auftaktpleite gegen Österreich gewonnen werden. Rechts hinten heißen die Kandidaten Josip Stanišić und Josip Juranović. Mit der restlichen Weltklasse kann hier nicht mitgehalten werden.
Star der Mannschaft: Qualität hat einen Namen: Luka Modrić ist zwar auf den Beinen nicht mehr der schnellste Spieler, doch im Kopf ist der 37-jährige Kapitän noch voll da. In der letzten Saison bewies er seine immer noch vorhandene spielerische Klasse und hatte großen Anteil am nächsten Champions League Gewinn für Real Madrid. Ob er die bei der WM 2018 gezeigte Fabelleistung - Modric wurde Spieler des Turniers - wiederholen kann, ist dennoch fraglich.
Größter Erfolg: Vize-Weltmeister 2018
Flashscore-Prognose: Kroatiens Mannschaft trägt wunderschöne Trikots, ist am Platz für wunderschöne Spielzüge bekannt: auf dem Platz verliert die Schaltstelle im Mittelfeld jedoch zunehmend an Dynamik. Für den ganz großen Coup reicht es nicht mehr. Gegen Marokko setzt sich Kroatien noch durch, im Achtelfinale scheidet man in einer ansehnlichen Begegnung gegen starke Spanier aus.
In Lauerstellung: Marokko
Marokko sollte keinesfalls unterschätzt werden. In Afrika ist die Mannschaft für ihre Qualität berüchtigt, in der Qualifikation für Katar gewannen die Jungs vom Maghreb sieben ihrer acht Partien. Querelen gab es trotz des sportlichen Erfolgs einige. Der Bosnier Vahid Halilhodžić trainierte die Mannschaft bis August, nur drei Monate vor Beginn der WM wurde er jedoch entlassen. Eine Auseinandersetzung mit Hakim Ziyech und Noussair Mazraoui hatte ihm den Kragen gekostet.
Der ungewöhnliche Entlassungszeitpunkt ist schnell erklärt. In entscheidenden Spielen hatten sich beide verletzt abgemeldet, der Coach kaufte den Starspielern die Entschuldigung nicht ab und drohte damit, beide wegen Disziplinlosigkeit bei der WM außen vor zu lassen. Der marokkanische Verband griff ein und schuf kurzerhand neue Fakten.
Walid Regragui übernahm das Ruder. Im arabischen Sprachraum genießt der ehemalige Nationalspieler einen guten Ruf, mit dem in Casablanca beheimateten Wydad AC gewann er 2021/22 die heimische Meisterschaft und die CAF Champions League. Auch Katar ist ihm nicht vollkommen fremd, er trainierte 2020 eine Saison lang Al-Duhail.
In den bisher drei Länderspielen unter Regragui blieb Marokko immer ohne Gegentor. Chile (2:0) und Georgien (3:0) konnten geschlagen werden, in Paraguay spielte man 0:0. In allen drei Spielen setzte Marokko auf ein 4-3-3. Im Kasten ist Sevillas Bono gesetzt, in der Viererkette wich Superstar Hakimi auf die linke Position, um auf rechts für den formstarken Bayern Mazraoui Platz zu machen. Ganz vorne sorgt Youssef En-Nesyri - auch in Andalusien Bonous Teamkollege - für die entscheidenden Momente. Auch Ziyech fand wieder einen Platz im Team.
Star der Mannschaft: Achraf Hakimi ist Bundesliga-Fans bestens bekannt. Ausgebildet bei Real Madrid, sicherte sich Dortmund für zwei Jahre leihweise seine Dienste. In Deutschland entwickelte sich der pfeilschnelle Außenverteidiger hervorragend, ein Jahr später machte er bei Inter unter Antonio Conte den nächsten Schritt. Obwohl erst 24 Jahre alt, absolvierte Hakimi bereits 53 Länderspiele. 111 Millionen Euro Ablöse wurden für den aktuellen PSG-Spieler bereits bezahlt.
Größter Erfolg: Afrikameister 1976, WM-Achtelfinale 1986
Flashscore-Prognose: Unter dem neuen Trainer hatte Marokko zuletzt viel Erfolg - jedoch gegen verhältnismäßig schwache Gegner. Marokko kann sich der Unterstützung der Zuschauer vor Ort sicher sein, viele Spieler können mit den klimatisch schwierigen Bedingungen gut umgehen. Kurz vor der WM ist in Marokko eine Vorfreude auf das Turnier entstanden, die ihresgleichen sucht. Die Ernüchterung wird kommen, Belgien und Kroatien verfügen über die nötige Abgeklärtheit, um die Nordafrikaner hinter sich zu lassen. Aus in der Gruppenphase trotz spektakulärer Auftritte.
Außenseiter: Kanada
Der letzte kanadische Gegner bei einer WM war die Sowjetunion. Am 09.06.1986 verlor Kanada auch das dritte Gruppenspiel und schied punktelos aus. Während die USA immer mehr zum internationalen Geschehen aufschlossen, sah die Lage des kanadischen Fußballs lange Zeit eher trist aus. Erst nachdem der Engländer John Herdman die Mannschaft im Januar 2018 übernommen hatte, ging es sukzessive aufwärts. Bevor Herdman die kanadischen Männer übernommen hatte, war der 47-jährige Engländer mit der Damenauswahl außerordentlich erfolgreich gewesen. Sowohl bei den Olympischen Spielen 2012, als auch 2016 hatte er sich mit seiner Auswahl die Bronzemedaille gesichert.
Im arktischen Königreich ist und bleibt Sportart Nummer eins Eishockey. Dank des Einstieges dreier kanadischer Vereine in die MLS (Toronto, Montreal, Vancoucer) bekommen seit einiger Zeit auch fußballbegeisterte Jugendliche bessere Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt. Davon profitierten teils jene Spieler, die das Grundgerüst der heutigen Mannschaft bilden: Alphonso Davies, Jonathan David, Tajon Buchanan. Angereichert um Routiniers wie Kapitän Atiba Hutchinson oder Cyle Larin hat John Herdman keine schlechte Mannschaft zur Verfügung.
In der starken Gruppe F ist man dennoch krasser Außenseiter. Die Teilnahme an Katar wurde zwar vor vier Jahren bereits als Wunsch ausgesprochen, kommt aber einigermaßen überraschend. 2026 ist man automatisch qualifiziert, man wird zusammen mit Mexiko und den USA das Turnier ausrichten. Nun sammelt man wertvolle Turniererfahrung. Auf dem Platz glänzen die Ahornblätter durch die physische Präsenz ihrer Starspieler. Die enorme Spitzengeschwindigkeit von "Fonzie" Davies oder Shootingstar Buchanan ist offensiv eine gern genutzte Waffe.
Star der Mannschaft: Alphonso Davies entwickelte sich bei Bayern München zum Leistungsträger einer internationalen Spitzenmannschaft. Im Nationalteam agiert Davies vorzugsweise als Flügelstürmer. Mit seinem Tempo und seiner Dynamik kann er seine Gegenspieler immer vor Probleme stellen. Zurzeit ist Davies aber angeschlagen und wird bei der WM daher eine untergeordnete Rolle spielen. Jonathan David von LOSC Lille ist dank seiner Ballsicherheit und Fähigkeit, selbst erfahrene Gegenspieler im Eins-gegen-eins nass zu machen, der nächste hochveranlagte Spieler.
Größter Erfolg: Gold-Cup-Sieger 1985, 2000, WM-Teilnahme 1986
Flashscore-Prognose: Schwachpunkt ist die Defensive. Dort zeigte sich Herdmans Team sehr anfällig. Im Testspiel gegen Japan zuletzt kassierte man ein viel zu einfaches Gegentor: Chip über die Viererkette, ein gegnerischer Stürmer geht in die Tiefe, überholt die behäbige Abwehrreihe, Keeper Borjan war chancenlos. Im weiteren Verlauf drehte man zwar die Begegnung, Japan verlor 2:1 - aber Kanadas drei Gruppengegner werden die Schwächen in der Abwehr zu nutzen wissen. Vielleicht gelingt Herdmans Elf eine kleine Überraschung, der erste Punktgewinn der WM-Geschichte ist möglich. Für den Aufstieg wird es nicht reichen. Letzter Platz in der Tabelle.