Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg – Porträt einer Unvollendeten
Martina Voss-Tecklenburgs Leidenschaft für den Fußball entwickelt sich früh: "Mit fünf Jahren bin ich zusammen mit meinem Zwillingsbruder über den Bolzplatzzaun geklettert, um mit den Nachbarskindern zu kicken", so die Duisburgerin in einem Interview mit "NiederRhein".
Ihr erster Verein ist der DJK Lösort Meiderich. Mitten aus dem Ruhrgebiet macht sie sich also auf, um die Fußballwelt zu erobern. Das gelingt ziemlich gut. Mit 14 wechselt die talentierte Offensivspielerin zum KBC Duisburg, drei Jahre später darf sie sich Pokalsiegerin und deutsche Meisterin nennen.
Voss-Tecklenburg eilt von Titel zu Titel
Auch in der Nationalmannschaft kennt der Weg der Offensivspielerin erst einmal nur eine Richtung: Nach oben! 1989 gewinnt sie mit dem DFB-Team den EM-Titel und wiederholt dieses Kunststück noch ganze dreimal. "Das war sensationell", erinnert sie sich im Gespräch mit der "taz" zurück. Insgesamt 125 Mal trägt Voss-Tecklenburg den Bundesadler auf der Brust und erzielt dabei 27 Tore. Parallel dazu fährt sie mit dem TSV Siegen und später dem FCR Duisburg diverse Pokalsiege und Meisterschaften ein. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es eine Bilderbuch-Karriere.
Tränen im Regen von Solna
Die heutige Bundestrainerin fliegt hoch, wird Fußballerin des Jahres und für ihre Verdienste um die Nationalmannschaft mit dem "Silbernen Lorbeerblatt" ausgezeichnet. Doch dann kommt es 1995 zum ersten großen Rückschlag in ihrer bisher so erfolgreichen Karriere. Bei der Weltmeisterschaft in Schweden dominiert das DFB-Team, schlägt unter anderem Brasilien und England deutlich. Im Finale wartet Norwegen auf das DFB-Team, bei dem Voss-Tecklenburg in der Startelf steht. Der erste WM-Titel ist zum Greifen nah!
Doch statt zu triumphieren, vermischt sich an diesem Tag der Regen von Solna mit den Tränen der deutschen Spielerinnen. Durch einen norwegischen Doppelschlag vor der Pause unterliegen Voss-Tecklenburg und Co. mit 0:2. Der Anfang vom Ende ihrer DFB-Karriere.
Verletzungen als stetige Begleiter
In der Folge jagt eine Enttäuschung die nächste. Immer wieder wird die damals knapp 30-Jährige von Verletzungen ausgebremst, zum Beispiel bei der EM 1997, als sie die Mannschaft eigentlich als Kapitänin zum Titel führen soll. Zwar wird der Titel gewonnen, allerdings verletzt sich Voss-Tecklenburg im zweiten Spiel und kann nicht mehr eingesetzt werden. Auch die WM 1999 verpasst sie verletzungsbedingt.
Ein Ende mit Schrecken
Zur vielleicht größten Enttäuschung kommt es im Vorlauf der Olympischen Spiele 2000. Die heutige Bundestrainerin ist damals in einer Beziehung mit Mitspielerin Inka Grings. Als die Partnerschaft zerbricht, zerbricht auch Voss-Tecklenburgs Traum von Olympia in Sydney. Die verdiente Spielerin wird - wohl, um für keine Unruhe im Team zu sorgen - aus dem Kader geschmissen. Es ist das Ende ihrer DFB-Karriere. "Für mich ist das der absolute Horror. Ich kann das nicht verstehen und auch nicht akzeptieren", so die Offensivspielerin zum „Spiegel“.
Auch die Vereinskarriere findet einen unrühmlichen Abschluss. In ihrem letzten Profispiel – dem Pokalfinale 2003 – unterläuft Voss-Tecklenburg das erste und einzige Eigentor ihrer Laufbahn. Es bleibt der einzige Treffer im Duell zwischen Duisburg und Frankfurt. "Ich weiß nicht, ob ich das je verdauen kann", sagte Voss-Tecklenburg damals.
Die Schweiz als Sprungbrett
Fünf Jahre nach dem Karriereende steigt die Duisburgerin bei ihrem Heimatverein ins Trainergeschäft ein. Mit dem FCR ist sie zu Beginn durchaus erfolgreich und gewinnt den UEFA-Cup sowie zweimal den Pokal. Trotzdem wird sie 2011 von ihrem Herzensclub gefeuert. Wenige Monate später unterschreibt sie einen Vertrag in Jena, welchen sie aber nach acht Monaten mitten im Abstiegskampf kündigt, um Nationaltrainerin der Schweiz zu werden.
Bei der "Nati“ erlebt Voss-Tecklenburg eine erfolgreiche Zeit. Sie führt die Mannschaft 2015 erstmals in der Verbandsgeschichte zu einer Weltmeisterschaft. Dort wird prompt das Achtelfinale erreicht. "Sie hat den Schweizer Frauenfußball mit ihrem Glauben an uns und ihrer deutschen Mentalität vorangebracht", so die Nationalspielerin Lia Wälti.
Die Zeit ist reif für den DFB
Das Bewerbungsschreiben aus dem Nachbarland überzeugt 2018 auch den DFB, der nach einer schweren Zeit unter Steffi Jones eine Nachfolgerin für Interimstrainer Horst Hrubesch sucht. Am 30. November wird Voss-Tecklenburg offiziell als deutsche Nationaltrainerin vorgestellt.
Ihr erstes Turnier ist die WM 2019 in Frankreich. Dort marschiert Deutschland ohne Gegentor ins Viertelfinale und scheitert trotz Führung mit 1:2 an Schweden. "Uns hat ein wenig der Mut gefehlt“, analysierte die Bundestrainerin in der "ARD". Durch das Ausscheiden im Viertelfinale wird gleichzeitig die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio verpasst.
Waterloo in Wembley
Trotz dieser Enttäuschungen befindet sich die deutsche Nationalmannschaft unter Voss-Tecklenburg auf einem hervorragenden Weg. Die gute Arbeit wird bei der EM 2022 belohnt, als das DFB-Team mit berauschendem Fußball die Nation begeistert und einen Hype auslöst, von dem der Frauenfußball bis heute zehrt.
Alles scheint perfekt zu sein. Bis schließlich der 31. Juli in London kommt. Gegen England und 90.000 Zuschauer im Wembley-Stadion agiert Deutschland lange Zeit auf Augenhöhe, hat Pech mit Schiedsrichter-Entscheidungen und verliert am Ende glücklos in der Verlängerung. Trotz der Niederlage ist die Trainerin stolz auf ihre Mannschaft: "Dieses Finale ist das Produkt langer und hartnäckiger Arbeit, davor habe ich den allergrößten Respekt.“
Der Traum vom Triumph
Aber es hat eben nicht gereicht, mal wieder. Bei ihrer Vorstellung sagt Voss-Tecklenburg: "Ich war noch nie Weltmeisterin." Man merkt, dass es an ihr zehrt, immer wieder kurz vor dem Ziel zu scheitern.
In Australien und Neuseeland soll es endlich anders werden: "Wir haben die Qualität, um den Titel mitzuspielen", so die Bundestrainerin. Am anderen Ende der Welt soll er also endlich gelingen, dieser letzte Schritt, der aus der großen Karriere von Martina Voss-Tecklenburg doch noch eine großartige machen würde.
Zum Match-Center: Deutschland vs. Marokko