Auch Henrichs fehlt: Bundestrainer Nagelsmann startet komplizierte Vorbereitung
Die fügten sich am Dienstagvormittag im Sonnenschein auf dem adidas-Campus bereits bestens ein. Jonathan Burkardt in der Pass-Stafette, Maßflanke von Jamie Leweling, perfekter Kopfball von Tim Kleindienst ins Tor - wer hätte sich das vor einer Woche vorstellen können? "Das ist verrückt", sagte Kapitän Joshua Kimmich, es habe sich "gefühlt der halbe Kader verändert". Aber: "Es ist wichtig, dass man sich das Hiersein verdienen muss - das haben die Jungs getan."
Nagelsmann schaute ihnen beim Training zu und nickte nachdenklich. Eigentlich hatte er die Zeit der Experimente bereits hinter sich gewähnt, nun ist er doch zum Improvisieren gezwungen: Irgendwie ist noch einmal Oktober 2023, und das nicht nur, weil Serge Gnabry und der nachnominierte Robin Gosens (Kimmich: "Er bringt gute Energie") erstmals seit einem Jahr dabei sind. Damals stand zum Beispiel Kevin Behrens im Aufgebot, und jetzt heißt es wieder: Plötzlich Nationalspieler!
"Wir haben den Kader aufgrund einiger Verletzungen kurzfristig noch mal etwas verändern müssen", sagte Nagelsmann, zu diesem Zeitpunkt hatte David Raum sich noch gar nicht abgemeldet. Der Bundestrainer verwies jedoch sofort auf den klaren Auftrag: "Wir wollen in Bosnien und Herzegowina und in München vor unseren eigenen Fans gegen die Niederlande gewinnen."
Auch ohne Marc-Andre ter Stegen, Jamal Musiala, Kai Havertz, Niclas Füllkrug, Robin Koch und Raum. Alle sind entweder längerfristig verletzt oder haben kurzfristig abgesagt. Am Dienstag fehlte zudem Benjamin Henrichs wegen Rückenbeschwerden.
Debüt-Kandidaten von vorne bis hinten
Neben Kleindienst, Burkardt und Leweling sind auch alle drei Torhüter ohne eine einzige Länderspielminute: Oliver Baumann, der wohl gegen Bosnien debütieren darf, Alexander Nübel und Janis Blaswich. Ein bisschen Wühlerei in den Archiven: Ein deutsches Aufgebot mit Torhütern ohne jeden Einsatz gab es zuletzt im Oktober 2008 (Rene Adler und Tim Wiese). Baumann, 34, wäre zudem der erste Debütant im deutschen Tor seit Kevin Trapp vor sieben Jahren.
Nagelsmann jammert nicht. Er macht das Beste draus. "So schade es ist", sagte er über die ungewöhnlich vielen Ausfälle: "Wir freuen uns jetzt sehr darauf, unsere neuen Spieler im Kreis der Mannschaft und im Training zu erleben." Er wirft ein paar Neulinge in sein Rüttelsieb für die WM 2026 - vielleicht bleibt ja doch noch einer hängen.
Auch die Fans werden sich vorerst an neue Gesichter gewöhnen müssen. Zum Beispiel an jenes von Kleindienst, hoch aufgeschossen, wuchtig, ein arbeitender Stürmer aus Mönchengladbach, der sich über eine grandiose Saison in Heidenheim empfohlen hat. Oder Burkardt aus Mainz, elegant und gefährlich, der sich vor zwei Jahren so schwer verletzte, dass er 13 Monate lang ausfiel. Und Leweling, geschmeidig, schnell, der zuletzt für den VfB Stuttgart auf dem Flügel Real Madrid schwindlig gespielt hatte.
Sie alle werden in Nagelsmanns Masterplan keine Hauptrollen zugewiesen bekommen. Aber auch die richtigen Ergänzungen sind wichtig, dafür kann der Bundestrainer durchaus Erkenntnisse gewinnen.
Nagelsmann kann auf stabiles Gerüst aufbauen
Der Unterschied zum Oktober 2023 ist dann doch offensichtlich: Damals wackelte noch alles, inzwischen steht ein stabiles Gerüst, an das Nagelsmann neue Elemente hängen kann. Oder altbekannte. Zum Beispiel Gnabry. So oder so: "Es ist etwas ganz Besonderes, Nationalspieler sein zu dürfen", sagte Kimmich eindringlich. "Ob man einhundert Länderspiele hat oder drei, ob man 34 ist oder 19."
Ob auch noch ein weiterer Weckruf des Bundestrainers nötig ist, wird sich am Freitag (ab 20:45 Uhr live bei RTL und in der Flashscore-Audioreportage) in Zenica zeigen.