Vorschau: Euphorie gegen Effizienz - Niederlande und England träumen vom EM-Finale
"Das sind keine normalen Fußballspiele. Das sind nationale Ereignisse", sagte Englands Teammanager Gareth Southgate und sprach sehr offen über den riesigen Druck, der auf seiner Mannschaft im Allgemeinen und auf ihm selbst im Besonderen laste. Wenn das nicht immer ein Hochamt der spielerischen Extraklasse sei, sondern zäher Ergebnisfußball: "Sorry!" Die Ironie war nicht zu überhören.
Zum Match-Center: Niederlande vs. England
Wie anders ist die Stimmung doch in den Niederlanden! Naar links, naar rechts - der Super-Hit der Party-Band "Snollebollekes" ist längst der inoffizielle EM-Song, zu Zehntausenden hüpfen die Fans fröhlich durch die Stadien und haben spätestens nach dem Viertelfinale (in Berlin!) gegen die Türkei auch die Mannschaft angesteckt. "Das sind Momente fürs Leben", sagte Stürmer Wout Weghorst, "die pure Freude, Wahnsinn." Das Gefühl, etwas ganz Großes zu erreichen, "wächst und wächst. Es wird wirklich immer größer. Es ist möglich!"
Wie 1988: Da hatte Holland in Deutschland ebenfalls den EM-Titel gewonnen. Ronald Koeman war damals noch ein harter Hund auf dem Platz - und nach dem Halbfinale, auf dem Höhepunkt einer erbitterten deutsch-niederländischen Rivalität, wischte er sich in Hamburg mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch das Hinterteil ab. Ähnliches ist am Mittwoch nicht zu erwarten: Koeman ist ein gestandener Trainer von 61 Jahren, den die Niederlande "so schnell nicht mehr loswerden", wie er zuletzt sagte. Kurs: WM 2026!
Die größte Kontroverse ist derzeit, wer im Sturm spielen soll. Memphis Depay, der Mann mit dem weißen Stirnband, schnell, gewandt, trickreich? Oder Weghorst, der perfekte Joker, groß, wühlend, langbeinig, kopfballstark? "Wenn man Europameister werden will, müssen die Spieler, die etwas Besonderes haben, in solchen Spielen wie gegen England dabei sein", sagt Koeman, "für das Spiel nach der Halbzeitpause ist Weghorst natürlich ein viel besserer Stürmer als Depay." Das klang sehr eindeutig, der Trainer bestand allerdings im Nachgang darauf, alles offen gelassen zu haben.
Engländer befürchten Schiri-Rache
Die Engländer bewegt neben der Tatsache, dass ihre Mannschaft ohne ein einziges überzeugendes Spiel ins Halbfinale vorgestoßen ist, vor allem ein Reizthema: die Ansetzung von Felix Zwayer. "Ein Schiri-Albtraum", schrieb die Boulevardzeitung The Sun: Jude Bellingham hatte noch als BVB-Profi derart auf die Verstrickung des deutschen Referees in den Wettskandal um Robert Hoyzer hingewiesen, dass Zwayer beinahe seine Karriere beendet hätte.
Nun sehen die beiden sich wieder. In Dortmund - wo England zumindest vor einem anderen Monster unter dem Bett keine Angst mehr haben muss. Das Elfmeterschießen beherrschen sie nach Jahrzehnten der Agonie inzwischen, alle fünf Schützen verwandelten im Viertelfinale gegen die Schweiz sicher. Torhüter Jordan Pickford wird sich zudem wohl wieder einen Spickzettel auf seine Trinkflasche kleben: Hat ja schon mal geklappt.
Schließlich wollen Southgate und seine Mannschaft, die 1,5 Milliarden Euro Marktwert versammelt, dass die Niederlande keineswegs wieder "von links nach rechts" tanzen. Sie sollen vor allem eines: fliegen. Und zwar nach Haus'.
Team-News: Shaw und Weghorst drängen in die Startelf
Als einziger gelernter Linksverteidiger im Kader von Gareth Southgate wurde das Comeback von Luke Shaw mit Spannung erwartet: Der Verteidiger von Manchester United verpasste die ersten vier Spiele der englischen Nationalmannschaft mit einer Knieverletzung erholte, doch nach einem Kurzeinsatz gegen die Schweiz scheint er nun bereit für die Startelf.
Marc Guehi, eine der wenigen positiven Erscheinungen der Engländer bei dieser Europameisterschaft, muss sich nach seiner Rückkehr von der Sperre mit Ezri Konsa um einen Platz in der Abwehr streiten. Es bleibt abzuwarten, ob in Dortmund eine Dreier- oder Viererkette auflaufen wird - oder eine Mischung aus beidem.
Harry Kane wurde am vergangenen Wochenende in der Verlängerung aus dem Spiel genommen. Da er aber bestätigt hat, dass dies an Ermüdungserscheinungen lag, wird der Rekordtorschütze der Three Lions fit sein, um seine gute Bilanz in der K.O.-Phase der Europameisterschaft auszubauen: Kein Spieler hat in der Ausscheidungsrunde mehr Tore erzielt (fünf, gleichauf mit Antoine Griezmann).
Die Niederlande haben im letzten Drittel eine wichtige Entscheidung zu treffen, da die Einwechslung von Wout Weghorst gegen die Türkei das Viertelfinale auf den Kopf stellte. Ronald Koeman hat die Möglichkeit offen gelassen, dass der Hoffenheim-Stürmer von Anfang an mit Memphis Depay auf dem Feld steht; wahrscheinlicher ist jedoch eine weitere Rolle als Joker.
Depay und Cody Gakpo sind unterdessen die offensiven Schlüsselspieler der Elftal: Sie waren in diesem Sommer an 63,5 % der Torversuche der Oranje beteiligt, dazu hatten sie bei sechs ihrer neun Treffer die Füße im Spiel. Dementsprechend wird Koeman am Mittwochabend wahrscheinlich an seiner Startelf festhalten: mit Bart Verbruggen im Tor, Virgil van Dijk als Kapitän in der Innenverteidigung und Xavi Simons als Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff.
Voraussichtliche Aufstellungen:
Niederlande: Verbruggen - Dumfries, De Vrij, Van Dijk, Ake - Schouten, Reijnders - Malen, Simons, Gakpo - Depay
England: Pickford - Walker, Stones, Guehi - Saka, Mainoo, Rice, Trippier - Bellingham, Foden - Kane
Flashscore-Prognose: Pragmatische Engländer kommen ins Finale
Gegen die Slowakei benötigte es einen Moment der Magie von Jude Bellingham, gegen die Schweiz mussten es die Engländer gar im Elfmeterschießen richten. Schon mehrfach standen die Three Lions im Turnier vor dem Aus, doch immer wieder durften sie am Ende jubeln. Es scheint fast, als hätten die Briten nach Jahren des Leidens den Status der Turniermannschaft für sich in Anspruch genommen.
Und so wird auch gegen die Niederlande nicht das schöne Spiel den Unterschied für das Team von Gareth Southgate machen, sondern die Effizienz. Ein Treffer des kritisierten Harry Kane vom Elfmeterpunkt wird reichen, um mit einem 1:0 über die Elftal ins Finale einzuziehen.