Taktikexperte Escher: "Im Pressing ist Spanien eine Wucht"
SID: "Herr Escher, was zeichnet Spanien aus?"
Tobias Escher: "Sie pflegen einen wunderbaren Stil. Mit ihrem 4-3-3-System, mit den beiden sehr breit stehenden Außenstürmern, mit den sehr aggressiv nach vorne stoßenden Außenverteidigern Cucurella und Carvajal, die immer um die Außenstürmer Williams und Yamal herumspielen, sie mal hinterlaufen und mal vorderlaufen. Dazu Ruiz und Pedri in den Halbräumen als Verbindungsspieler. Das ist exzellent."
Und weiter?
Escher: "Gerade im Pressing sind die eine richtige Wucht. Die gehen immer wieder mit fünf Mann nach vorne, die Außenverteidiger rücken hier sehr weit ein, sind sehr aggressiv. Das ist eine sehr dominante Spielweise. Dazu kommt eine exzellente Raumbesetzung und, dass sie die Pässe durchs Mittelfeld jagen, als würden sie aufs Tor schießen.
Da Zugriff zu bekommen, ist sehr schwer. Gerade auf Außen wirst du immer wieder doppeln und gucken müssen, dass du nicht in Unterzahl gerätst, wenn etwa Pedri rüberrückt und ein Außenverteidiger vorstößt. Da wird Deutschland sehr vorsichtig sein müssen."
Zum Match-Center: Spanien vs. Deutschland
Mut zum Risiko
Wie kommt man dagegen an?
"Man muss selbst auch ein bisschen offensiv spielen. Erstens, weil die Spanier in der Konterabsicherung sehr aggressiv sind, also sehr stark nach vorne verteidigen. Das sieht man an den Außenverteidigern, die häufig auf der Sechser-Position zu finden sind, um dort mitzuverteidigen.
Georgien hat das sehr gut gemacht, dass sie den ersten Pass ins Zentrum gespielt und den Gegner rausgelockt haben, dann aber sofort die Verlagerung auf die Außenverteidiger gespielt und versucht haben, diese nach vorne zu schicken. Du brauchst auf den Außen Spieler, die sehr viel nach hinten arbeiten und immer wieder den Weg nach vorne nehmen."
Wie wichtig ist dabei Breite?
"Sehr wichtig. Weil du die Spanier auch mit der Viererkette ärgern kannst, indem du Verlagerungen einstreust. Da denkt man an Kroos, wenn der sich aus dem Pressing befreien und den langen Ball rechts raus spielen kann in Richtung Kimmich. Das kann eine Waffe sein."
Wie wird sich der Ballbesitz verteilen?
"Das ist das Zweite, wo ich bei den Schwächen der Spanier reingehen würde. Ich finde sie gar nicht überragend, wenn sie den Ball nicht haben. Dann sind die beiden Achter häufig sehr hoch und sehr aggressiv im Pressing - dann kannst du in den Raum dahinter kommen.
Du musst es schaffen, dass beim Spielaufbau die ersten drei, vier Pässe sitzen. Wenn du dann Wirtz und Musiala in den Räumen hinter Pedri und Ruiz findest, ist das Gold wert."
Ab in die Tiefe
Was bedeutet das für die deutsche Aufstellung?
"Du kannst sagen, auf den Außen sind die Spanier anfällig, in den Raum musst du kommen und dafür sorgen, dass Williams und Yamal nach hinten arbeiten müssen. Da kann es sinnvoll sein, Sane auf rechts zu stellen und Raum auf links, um viel Breite und die Option zu haben, mit Fünferkette zu verteidigen.
Es könnte ein Schlüssel sein, Andrich wieder zurückzuziehen, um die gesamte Breite des Feldes besser abzudecken. Da muss man wirklich aufpassen. Gleichzeitig darfst du dich nicht hinten reindrücken lassen. Dafür verteidigen wir nicht gut genug. Andererseits finde ich die Variante sehr charmant, das Mittelfeld der Spanier rauszuziehen und da mit Musiala und Wirtz aufzudrehen oder in die Tiefe zu starten."
Was würden Sie der Mannschaft mitgeben?
"Habt Mut im Ballbesitz! Wenn die Spanier früh pressen, nicht sofort den langen Ball wählen, sondern versuchen, zwei, drei Pässe am Stück zu spielen. Sucht Tiefe, gerade auf den Flügeln! Wer da spielt, ist der erste Kandidat für einen Wechsel. Dem würde ich sagen: Wenn du nach 60 Minuten tot bist, bringen wir jemand anderen."