Plötzlich im Halbfinale und "noch nicht am Ende": England will den Titel
"Von Beginn an unter enormem Druck"
Gareth Southgate brachte ein gequältes "Sorry" über die Lippen, als er auf die so unattraktive Spielweise seiner englischen Fußball-Nationalmannschaft angesprochen wurde. "Wenn es nicht gefällt, tut es mir leid", sagte der Trainer und stellte sich nach dem Einzug ins EM-Halbfinale schützend vor seine Spieler: "Das sind nicht einfach nur Fußballspiele, sondern nationale Events mit riesigem Druck. Und wir sind jetzt im dritten Halbfinale beim vierten großen Turnier - nicht so schlecht, oder?"
In der Tat - die Bilanz spricht für Southgate und England, und doch gibt die mit Topstars wie Harry Kane und Jude Bellingham gespickte Mannschaft weiter Rätsel auf. Auch beim 5:3 im Elfmeterschießen gegen tapfere Schweizer überzeugte sie nicht. Einer Einzelaktion von Bukayo Saka (80.) zum 1:1, der Nervenstärke der Elfmeterschützen und einer Parade von Jordan Pickford war es zu verdanken, dass die Engländer nun tatsächlich im Halbfinale stehen. Am Mittwoch (21.00 Uhr/ARD und live in der Flashscore-Audioreportage) geht es in Dortmund gegen die Niederlande.
Southgate nutzte die Pressekonferenz in Düsseldorf, um die Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Mentalität zu stärken. "Da sind ganz junge Männer im Mittelpunkt, unser Team war von Beginn an unter enormem Druck", rief Southgate all den Kritikern und Nörglern zu. Er sei "so, so stolz" auf seine Spieler, weil diese es "so, so gut" machten. Es benötige weit mehr als fußballerische Klasse, um bei einem Turnier erfolgreich zu sein, betonte der 53-Jährige: "Man muss Wege finden, um Spiele zu gewinnen."
Und dies gelinge England bislang trotz aller Mängel: "Diese Spieler zeigen unglaubliche Qualitäten: Charakter, Widerstandsfähigkeit. Sie nehmen jede Herausforderung an, sind zweimal nach Rückstand zurückgekommen und haben ein Elfmeterschießen gewonnen."
Immer noch Raum zur Verbesserung
Auch Kapitän Harry Kane lobte die Moral seines Teams. Torhüter Pickford, der die Vorlieben der Schweizer Elfmeterschützen auf einem Spickzettel auf seiner Trinkflasche ablesen und so den Schuss von Manuel Akanji parieren konnte ("spring nach links"), unterstrich die "Mentalität und unseren Zusammenhalt".
England spiele "wie ein Löwe im Käfig, der erst reagiert, wenn man ihn reizt", schrieb die Daily Mail. Dass England unter den besten Vier steht, obwohl es "noch nicht mal in Bestform" war, nähre "die Hoffnung, dass sie es diesmal bis zum Ende durchziehen können", kommentierte der Mirror.
Auch Southgate sprach inmitten seiner Lobeshymnen von Potenzialen, die seine Mannschaft noch erschließen könne. "Wir erzielen nicht viele Tore", sagte er. In fünf Turnierspielen sind fünf Treffer - also könne die Offensive nachlegen, aber, Vorsicht! Dies soll bloß nicht, als öffentliche Kritik zu verstehen sein.
"Wir haben gegen drei Teams gespielt, die auf eine Fünferkette gesetzt haben und sehr gut organisiert waren", sagte Southgate. Dazu seien die Plätze in Deutschland "ein bisschen holprig, da braucht man den Extrakontakt, und dann ist der freie Raum wieder weg", so der Coach: "Nichts ist einfach. Wir haben viel erreicht, aber wir sind noch nicht am Ende."
Dies sah auch Bukayo Saka so, der beim dramatisch verlorenen EM-Finale 2021 gegen Italien im Elfmeterschießen vergeben hatte. Nun, drei Jahre später, verwandelte er gegen die Schweiz souverän. Jetzt warten das Halbfinale gegen die Niederlande - und dann das Finale am Sonntag in Berlin? "Es sind hoffentlich zwei Spiele, die unsere Leben ändern und Geschichte schreiben", sagte Saka.
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