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Zidanes Kopfstoß und Inters Titelträume - Marco Materazzi im EXKLUSIV-Interview

Fabio Russomando
Marco Materazzi (l.) und die WM-Trophäe im Jahr 2006.
Marco Materazzi (l.) und die WM-Trophäe im Jahr 2006.Profimedia/Flashscore
Der italienische Weltmeister Marco Materazzi sprach mit Flashscore ausführlich über seine grandiose Karriere. Über das WM-Finale 2006, den legendären Kopfstoß von Zinedine Zidane und die Chancen seines Ex-Vereins Inter Mailand, zum zweiten Mal in Folge das Finale der UEFA Champions League zu erreichen und in Italien den Scudetto zu gewinnen.

Das Finale der Weltmeisterschaft 2006 - bei dem Marco Materazzi mit seinem Tor zum 1:1-Ausgleich und als Leidtragender von Zinedine Zidanes Kopfstoß zu den Hauptakteuren gehörte - ist noch immer nicht vollkommen aufgearbeitet: "Ich hatte nie die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen und alles zu klären

Über das Spiel selbst sagt der ehemalige Spitzenverteidiger: "Wir haben gewonnen, weil wir bis zur 120. Minute durchgehalten haben, nicht wegen des Kopfstoßes. Wenn man nach fast 20 Jahren immer noch glaubt, dass man ein Spiel wegen so einem Vorfall gewonnen hat - das klingt sehr unglaubwürdig".

Eine legendäre Karriere

Marco Materazzi darf seine Karriere "komplett" nennen, er gewann so gut wie alle Titel, die es zu gewinnen gab. Von der UEFA Champions League über die Klub-Weltmeisterschaft bis hin zur Weltmeisterschaft.

Zehn Jahre lang, von 2001 bis 2011, hielt der im Süden Italiens geborene Verteidiger die Knochen für Inter hin. Die Nerazzurri wurden zur Liebe seines Lebens. Er hatte entscheidenden Anteil am Triple-Gewinn 2010, zusammen mit José Mourinho, fünfmal wurde er italienischer Meister.

José Mourinho und die CL-Trophäe.
José Mourinho und die CL-Trophäe.Profimedia

17 Trophäen, darunter der Gewinn der indischen Super League, und ein Tor im WM-Finale 2006 gegen Frankreich reichen jedoch nicht aus, um eine legendäre Szene aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen. Seit fast 20 Jahren wird die Karriere von Materazzi eng mit jener von Zidane verknüpft. Der Franzose verpasste ihm nach einem Wortgefecht einen Kopfstoß.

Der Streit zwischen den beiden wurde bis heute nicht beigelegt, aber: "Ich kann ihm nur gratulieren zu dem, was er als Spieler, aber auch als Trainer geleistet hat." Die Erzählung, Italien habe erst durch die Rote Karte auf die Siegesspur gefunden, gefällt dem heute 50-Jährigen nicht: "Wir haben gewonnen, weil wir bis zur 120. Minute durchgehalten haben, nicht wegen des Kopfstoßes. Wir haben uns im Elfmeterschießen gut geschlagen. Ich erinnere mich gerne daran. Wir hatten eine tolle Mannschaft, waren eine tolle Gruppe.

Keine Lust aufs Trainerdasein

Einige der Weltmeister von 2006 haben mittlerweile eine Trainerkarriere eingeschlagen. Nicht Materazzi, der trotz UEFA-Pro-Lizenz nie zu einem großen Coach wurde: "In Indien hatte ich Gelegenheit, als Trainer zu arbeiten. Dort war man auch eine Manager. In Italien ist das anders, vielleicht habe ich mich auch deshalb ein wenig zurückgehalten. Außerdem hat sich die passende Gelegenheit nie ergeben. Ich habe die Zeit für mich entscheiden lassen".

Prominente Gegenbeispiele: Fabio Grosso und Gennaro Gattuso, die 2006 zusammen mit Materazzi zu Ikonen wurden und mittlerweile beide in der französischen Liga aktiv sind, für Olympique Lyon bzw. Olympique Marseille: "Gattuso bringt seine Mannschaften dazu, Fußball auch wirklich zu spielen. Anders als die Leute vielleicht denken, wenn man bedenkt, was für ein Spielertyp er war. Es ist offensichtlich, was Rino einer Mannschaft geben kann."

Gennaro Gattuso.
Gennaro Gattuso.Profimedia

Marco Materazzi hingegen ist als Markenbotschafter für die Serie A unterwegs. Als historische Ikone von Inter ist er ständig auf Achse, reist mal in die Vereinigten Staaten, mal nach Asien.

Inter und die Champions League

In den nächsten Stunden werden seine Nerazzurri in der UEFA Champions League im Einsatz sein. Die Mannschaft von Simone Inzaghi trifft nach einem Remis bei Real Sociedad im heimischen San Siro auf Benfica (Dienstag, 21 Uhr). Im Vorjahr erreichte Inter das Finale der Königsklasse, verlor nur knapp gegen Manchester City. Materazzi ist sich sicher, dass das kein einmaliges Erlebnis gewesen sein muss.

"Letztes Jahr", erläutert Materazzi, "hat Inter bewiesen, dass sie in die Champions League gehören. Sie hätten sogar gewinnen können. Das Positive ist, dass die Mannschaft aus dieser Niederlage offenbar gestärkt hervorgegangen ist. Ich denke, die Mannschaft hat die Stärke derer erlangt, die wissen, dass sie mit jedem mithalten können."

Marco Materazzi.
Marco Materazzi.Fabio Russomando

Auf dem Weg zum Finale im Londoner Wembley gibt es aber auch einige Stolpersteine: "Inter darf nicht den Fehler machen, zu denken, dass die Gruppenphase einfach ist. In den europäischen Wettbewerben kann alles Mögliche passieren. In der Vergangenheit hat es Mannschaften gegeben, die mit acht Punkten in der Gruppe die Champions League gewonnen haben und dann selbstbewusst ins Finale eingezogen sind. Jedes Spiel muss ernst genommen werden." 

In der Serie A macht Inzaghis Team von Inzaghi seine Sache bislang ausgezeichnet, von einer Niederlage gegen Sassuolo abgesehen, feierte man nur Siege, Lautaro Martinez erzielte gegen Salernitana zuletzt einen historischen Viererpack. Grund zur Euphorie gibt es also, wenngleich Materazzi warnt: "Inter war auch vor zwei Jahren schon sehr stark und hätte den Scudetto verdient gehabt." Das Titelrennen dauert noch, eine stabile Mentalität sei laut ihm der Grundstein zum Erfolg.

Spalletti ist der richtige Mann

In Bezug auf die italienische Nationalmannschaft und den neuen Nationaltrainer Luciano Spalletti erklärt der 50-Jährige: "Ich denke, dass Spalletti der richtige Mann für Italien ist. Er wollte unbedingt zur Nationalmannschaft und das ist eine schöne Sache." Dass sein Vorgänger Roberto Mancini nach Saudi-Arabien wechselte, brachte zahlreiche Insider zum Stirnrunzeln und ließ viele italienische Fans pessimistisch in die Zukunft blicken.

Und doch ist die Hoffnung groß, dass die fast vergessenen Emotionen, welche Materazzi und seine Kameraden 2006 auslösten, bald wieder zum Leben erweckt werden.

Luciano Spalletti.
Luciano Spalletti.Profimedia