"LuLa" und die "Vergessenen": Fünf Gründe, warum Inter die Königsklasse gewinnt
Ein Pokalspezialist an der Linie
Inzaghi ist vielleicht nicht in der Lage, eine ganze Saison lang in allen Wettbewerben das Beste aus seiner Mannschaft herauszuholen, aber er hat sich in seiner Zeit bei Lazio und den Nerazzurri einen Ruf als Spezialist für Pokalwettbewerbe erworben. Bereits in Rom gewann er überraschend drei nationale Trophäen, dazu kamen weitere Pokale mit Inter. In seinen sieben Jahren als Cheftrainer in Italiens höchster Spielklasse hat Inzaghi sieben von acht Pokalendspielen gewonnen, darunter die Coppa Italia und die Supercoppa Italiana.
Zum Match-Center: Manchester City vs. Inter Mailand
Auch in dieser Saison gelang es dem ehemaligen Stürmer, die Mannschaft in Drucksituationen zu Höchstleistungen zu bringen: In der Gruppenphase schaltete man in einer schwierigen Gruppe den FC Barcelona aus, später setzte man sich knapp gegen den portugiesischen Spitzenklub FC Porto durch. Auch Benfica Lissabon räumte man aus dem Weg.
Hybrides Pressing und kompaktes Zentrum
Man City wird Inzaghis Führungsqualitäten und taktischen Scharfsinn auf die Probe stellen. Der aus Piacenza stammende Cheftrainer wird versuchen, die Stärken seines charakteristischen 3-5-2-Systems zu nutzen, das Manchester City vor allem auf den Flügeln in Bedrängnis bringen könnte, wo die unermüdliche Arbeit der Flügelstürmer Federico Dimarco und Denzel Dumfries Inter sowohl offensiv als auch defensiv einen zahlenmäßigen Vorteil verschaffen könnte.
Der Schlüssel zum Sieg von Inter wird darin liegen, das Aufbauspiel des Gegners zu stören. Und dafür hat Inzaghi einen Trick parat: hybrides Pressing und solides Mittelfeldpressing. Die Nerazzuri spielen eine Mischung aus Manndeckung und zonalem Pressing. Wie von italienischen Teams gewohnt laufen sie nicht ins offene Messer – im Gegenteil, Inter überlässt dem Gegner gerne den Ball im hinteren Teil des Spielfelds.
City wird einen Weg finden müssen, dieses hybride Pressing von Inter zu überwinden, wenn es im Finale perfekt funktioniert hat. Es gibt so gut wie keinen Raum, um sich durch das Mittelfeld zu kombinieren, und sie werden häufig auf die Flügel ausweichen müssen, was dazu führt, dass Spieler wie Ilkay Gündogan und Kevin De Bruyne Schwierigkeiten bekommen, ihre Torgefährlichkeit zu entfalten.
Abwehrbollwerk in blau und schwarz
In einem gut funktionierenden Kollektiv sticht die Defensive als Prunkstück heraus. Der ablösefrei verpflichtete Andre Onana hat sich gut eingefunden und ist längst Leistungsträger im Tor der Italiener. Statistisch gesehen ist er gar der beste Torhüter der diesjährigen Königsklasse. Davor besteht die Defensive aus Spielern, die das Verteidigen lieben. Mehr noch: Um bei Inter zu spielen, muss man ein streitbarer Krieger sein. Jemand, der vor keinem Konflikt zurückschreckt.
Alessandro Bastoni ist der Spielstärkste der drei Abwehrrecken. Die Positionen neben dem 24-Jährigen galten zu Beginn der Saison als mögliche Schwachstelle, doch es haben sich zwei unerwartete Protagonisten herausgebildet: Matteo Darmian, der nach seiner schwächeren Zeit bei Manchester United schon fast totgesagt war, hat sich mit seiner Flexibilität zwischen Innen- und Außenverteidiger in die Mannschaft gespielt. Komplettiert wird die Dreierkette von Francesco Acerbi, der als groß gewachsener Aggressive Leader eine Mischung aus Andrea Barzagli und Giorgio Chiellini verkörpert.
Da fällt es kaum ins Gewicht, dass zwei der drei nominell stärksten Innenverteidiger im Kader in diesem Jahr kaum eine Rolle spielen: Während Milan Skriniar schon länger verletzungsbedingt ausfällt und den Verein am Ende der Saison verlassen wird, läuft der Niederländer Stefan de Vrij weiterhin seiner Form hinterher. Gerade die "Vergessenen", wie die Abwehrreihe Inters um Acerbi und Darmian in Italien genannt wird, könnten aber zu einer maximal unangenehmen Herausforderung für Erling Haaland und Co. werden.
"LuLa" bringen Tore im Überfluss
Im europäischen Vergleich ist Inter ein kleines Einhorn: Nur wenige Spitzenteams ziehen die Taktik mit zwei Mittelstürmern so konsequent durch die die Mailändern. Mit vier gelernten Angreifern im Kader verfügt Simone Inzaghi über ausreichend Möglichkeiten, den Gegner offensiv vor Probleme zu stellen. Während der Argentinier Joaquin Correa und der Routinier Edin Dzeko sich häufig mit dem Bankplatz begnügen müssen, bilden Lautaro Martinez und Romelu Lukaku ein echtes Traum-Duo.
Nach einer schwierigen Phase im Anschluss an die Weltmeisterschaft in Katar haben die beiden Angreifer wieder zu alter Form gefunden. Der Belgier Lukaku hat in den letzten 15 Pflichtspieleinsätzen für die Schwarz-Blauen neun Tore erzielt und vier Vorlagen gegeben. Lautaro Martinez hat in den letzten acht Ligaspielen zehn Torbeteiligungen gesammelt, dazu kam das entscheidende 1:0 im Halbfinal-Rückspiel gegen Stadtrivale AC und ein schier unglaubliches Volleytor im Finale der Coppa Italia gegen die AC Florenz.
Gemeinsam bilden Lukaku und Martinez ein Tandem, das Tempo und Robustheit, Technik und Kopfballstärke verbindet. Selbst für die spielerisch starken Verteidiger von Manchester City dürfte es nicht alle Tage vorkommen, dass zwei Offensivspieler des Gegners sie mit ihrer individuellen Klasse alleine beschäftigen können. Erwischen "LuLa" einen guten Tag, ist für Inter alles möglich.
An einem Abend kann alles passieren
Ja ja, die fünf Euro wandern direkt ins Phrasenschwein. Aber dennoch: So klar die Favoritenrolle zu Gunsten von Manchester auch zu sein scheint, in den Geschichtsbüchern gibt es genug Referenzen, wie ein David dem Goliath die Butter vom Brot nehmen kann. Die Cityzens brauchen dabei gar nicht lange suchen: Auch im Jahr 2021 galten sie im Endspiel gegen Chelsea als klarer Favorit, dann kam Kai Havertz und Pep und sein Team standen einmal mehr ohne Henkelpott da.
Inter selbst hatte 2010 den scheinbar übermächtigen FC Barcelona in einer Halbfinal-Abwehrschlacht besiegt, bevor man im Finale auch noch die Bayern schlagen konnte. Die Zutaten zum großen Erfolg waren damals ganz ähnlich: Eine unüberwindbare Defensive aus erfahrenen Recken wie Lucio, Walter Samuel und Cristian Chivu, und vorne wirbelte ein Doppelsturm aus Gabriel Milito und Samuel Eto'o.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Inter national nicht die beste Saison gespielt hat. Doch im Umfeld der Pokalwettbewerbe kann diese Mannschaft über sich hinauswachsen. Nach dem Gewinn der Coppa Italia und der Suppercoppa Italiana ist es nicht ausgeschlossen, dass das Team aus der Modestadt am Samstagabend (ab 21 Uhr live im ZDF und in der Flashscore-Audioreportage) auch das Triple perfekt macht.