Form, Erfahrung, Taktik: Große Vorschau auf das Champions-League-Achtelfinale
PSV Eindhoven
FORM: Durch eine perfekte Hinrunde mit 17 Siegen aus den ersten 17 Eredivise-Partien schrieb PSV Eindhoven europaweit Schlagzeilen. Der Motor ist weiterhin gut in Schwung, allerdings spielte man im Kalenderjahr 2024 zweimal nur Unentschieden (jeweils 1:1 beim FC Utrecht und bei Ajax Amsterdam). Am Freitag feierte man vor eigenem Publikum in Überzahl einen 2:0-Sieg.
ERFAHRUNG: Trotz langer Historie feierte PSV Eindhoven auf der europäischen Bühne kaum nennenswerte Erfolge. 1987/88 gewann man den Europapokal der Landesmeister, aber das ist schon lange her. In der laufenden Saison nimmt man zum 17. Mal an der UEFA Champions League teil. Nur fünfmal kam man dabei über die Gruppenphase hinaus. Die meiste CL-Erfahrung hat Luuk de Jong mit 37 Einsätzen (11 Treffer). Außerdem gewann der 33-jährige PSV-Kapitän 2019/20 mit dem FC Sevilla die Europa League. Im Endspiel erzielte der 39-fache Nationalspieler sogar das entscheidende Tor.
TAKTIK: Trainer Peter Bosz ist seit seiner Kindheit ein großer Fan von Johan Cruyff. Wenig überraschend ist der 60-jährige Niederländer ein Verfechter des Positionsspiels und von frühem, intensivem Pressing. Bosz will seine Gegner dominieren. Für diesen werden die Räume im Zentrum eng gemacht, in eigenem Ballbesitz ist PSV hingegen bemüht, das Spielfeld möglichst breitzumachen. Üblicherweise legt man viel Wert auf einen geordneten Spielaufbau. Falls das flache Passspiel nicht klappt, hat man mit Stoßstürmer De Jong eine geeignete Anspielstation für lange Bälle.
Borussia Dortmund
FORM: Wenngleich der BVB seit acht Pflichtspielen ungeschlagen ist, herrscht im Umfeld eine gewisse Unruhe. Einerseits hatten die Dortmunder nicht unbedingt das schwerste Programm, andererseits spielte man regelmäßig nur Unentschieden. In der Bundesliga liegt man auf Platz vier, dort möchten die Schwarz-Gelben auch bis Saisonende bleiben.
ERFAHRUNG: Seit mittlerweile acht Jahren nimmt Dortmund jedes Jahr an der UEFA Champions League teil. 1996/97 holte man sich den Henkelpott durch einen Finalsieg gegen Juventus Turin, 2012/13 scheiterte man im Endspiel an Bayern München. Drei Spieler im BVB-Kader kommen auf über 50 Einsätze in der europäischen Königsklasse: Mats Hummels (83), Marco Reus (65) und Julian Brandt (53).
TAKTIK: Die Borussia befindet sich in einer experimentellen Phase - und das schon seit Saisonbeginn. Der Abgang von Jude Bellingham zu Real Madrid konnte nicht kompensiert werden. Im Spielaufbau hat man deutliche Probleme, was vorwiegend gegen nominell schwächere Teams zu Problemen führt. Kapitän Emre Can ist nicht die Idealbesetzung für ein flaches Passspiel, weshalb er in letzter Zeit häufig vom invers agierenden Außenverteidiger Ian Maatsen unterstützt wurde.
Im Angriffsdrittel ist man auf die individuelle Klasse von Spielern wie Donyell Malen, Jadon Sancho und Julian Brandt angewiesen. Stoßstürmer Niclas Füllkrug ist die passende Anspielstation für lange Bälle und nimmt gerne auch am Kombinationsspiel teil. Füllkrug befindet sich in Topform und kam in seinen letzten fünf Bundesliga-Einsätzen auf sechs Treffer und zwei Assists.
Inter Mailand
FORM: In Italien ist Inter zurzeit das Maß aller Dinge. Die Nerazzurri kassierten Ende September ihre letzte Niederlage in der Serie A und haben bei einem Spiel weniger neun Punkte Vorsprung auf Verfolger Juventus. Zuletzt feierte man acht Pflichtspielsiege hintereinander, am Freitag fegte man Abstiegskandidat Salernitana mit 4:0 vom Platz.
ERFAHRUNG: Erfahrung ist vielleicht die größte Stärke von Inter. Der Altersdurchschnitt im Kader beträgt 28,9 Jahre. Trainer Simone Inzaghi liebt es, sich passende Pläne für K.o.-Spiele auszudenken und führte sein Team im Vorjahr überraschenderweise bis ins Finale der europäischen Königsklasse. Sein Kader kommt aktuell auf 658 CL-Einsätze, davon entfallen 75 auf Alexis Sanchez. Am Dienstagabend dürfte der Chilene aber nur auf der Ersatzbank sitzen.
TAKTIK: Schon Antonio Conte führte Inter 2020/21 in einem 3-1-4-2 zum italienischen Scudetto. Inzaghi hat das System auf ein neues Level gehoben. Besonders interessant ist die Rollenverteilung im Mittelfeld. Nachdem Marcelo Brozovic im vergangenen Sommer nach Saudi-Arabien gewechselt ist, wurde Hakan Calhanoglu ins defensive Mittelfeld beordert. Überraschenderweise blüht der türkische Spielmacher auf der ungewohnten Position richtiggehend auf. Als zurückgezogener Spielmacher setzt er seine Mitspieler durch wundervolle Pässe in Szene. Mkhitaryan und Barella im zentralen Mittelfeld genießen deutlich mehr offensive Freiheiten.
Kapitän Lautaro Martinez holt sich gerne in der eigenen Hälfte die Bälle ab, sein Sturmpartner Marcus Thuram soll hingegen durch seine hohe Athletik die gegnerischen Verteidiger binden. Auf der rechten Schiene wechseln sich Denzel Dumfries und Matteo Darmian regelmäßig ab. Letztgenannter steht für einen etwas defensiveren Ansatz.
Atletico Madrid
FORM: Am Samstag fertigte Atletico im eigenen Stadion Aufsteiger Las Palmas mit 5:0 ab. Auch ohne den verletzten Torjäger Alvaro Morata stimmten die Abläufe in der Offensive, Marcos Llorente und Angel Correa erzielten jeweils einen Doppelpack. Zuvor kassierten die Rojiblanco zwei bittere 0:1-Pleiten gegen den FC Sevilla (LaLiga) und Athletic Bilbao (Copa del Rey). Wie gewohnt ist die Defensive das große Prunkstück von Atleti. In den letzten acht Pflichtspielen kassierte man nur vier Gegentore.
ERFAHRUNG: Seit Diego Simone bei den Madrilenen als Cheftrainer im Amt ist, feierte Atletico in 101 CL-Spielen 50 Siege. 2015/16 erreichte man sogar das Finale, welches gegen Erzrivale Real verloren wurde. 2012 und 2018 gewann man die Europa League. Der Kader verändert sich seit über einem Jahrzehnt nur geringfügig. Simeones Mannen sind eine verschworene Einheit. Routiniers wie Koke, Antoine Griezmann (jeweils 91 CL-Einsätze) oder Torhüter Jan Oblak (80 CL-Einsätze) wissen genau, worauf es in den entscheidenden Momenten ankommt.
TAKTIK: Im vergangenen Jahr hat sich Diegos Simeones Ansatz verändert. Atletico erzeugt deutlich mehr Torgefahr als früher. Der Defensivpapst ließ das traditionelle 4-4-2 fallen und setzt mittlerweile auf eine 5-3-2-Formation. Der von Simeone geprägte Cholismo (eine Spielweise, die für knappe 1:0-Siege und Zeitschinden ab der 60. Minute steht) wurde von einem fluiden System abgelöst.
Durch das nominell stark besetzte Zentrum haben die Außenverteidiger Nahuel Molina und Samuel Lino mehr offensive Freiheiten als in der Vergangenheit. Die beiden Stürmer genießen ebenfalls viel Bewegungsfreiheit. Eine wichtige Rolle im Spielaufbau nimmt häufig Mario Hermoso ein. Der 28-jährige Innenverteidiger verfügt über ein gutes Auge für seine Mitspieler und schafft es regelmäßig, mehrere Linien auf einmal zu überspielen.
Match-Center: Inter Mailand vs. Atletico Madrid (Dienstag, 21 Uhr)
FC Porto
FORM: Im Februar kam der FC Porto etwas ins Straucheln. Zunächst kam man im Heimspiel gegen Rio Ave nicht über ein torloses Unentschieden hinaus. Dann folgte eine unglückliche 3:2-Niederlage beim FC Arouca. Immerhin feierte man am Samstag gegen Aufsteiger Estrela Amadora einen glanzlosen 2:0-Sieg. Dennoch dürften die beiden Hauptstadtvereine Benfica und Sporting die Meisterschaft untereinander ausmachen. Die Misere ist an Cheftrainer Sergio Coneicao nicht spurlos vorbeigegangen, in den vergangenen Wochen befand er sich zunehmend in Erklärungsnot.
ERFAHRUNG: Der FC Porto ist gewissermaßen Stammgast in der UEFA Champions League. In den vergangenen elf Jahren nahm man nur 2019/20 nicht an der Gruppenphase teil. Seit der Saison 2012/13 erreichte man achtmal die K.o.-Phase. Erfahrenster Mann ist - keine Überraschung - Abwehrchef Pepe. Mit Real Madrid gewann der Haudegen viermal den Henkelpott. Zudem ist er der 40-Jährige mittlerweile der älteste Torschütze in der Königsklassen-Historie.
TAKTIK: Standardmäßig spielt Porto unter Sergio Conceicao mit einer Viererkette. Gegen den Ball steht sein Team für ein gut organisiertes, mannorientiertes Pressing, wobei die beiden Außenverteidiger aggressiv nach vorne schieben. Für ein Spitzenteam schlägt man verhältnismäßig viele Flanken, gefährliche Situationen werden häufig über die Flügel kreiert. Das hängt auch mit der Positionierung der beiden zentralen Mittelfeldspieler im 4-4-2 zusammen. Die beiden Achter orientieren sich grundsätzlich eher Richtung Defensive und sind vorrangig dafür verantwortlich, gegnerische Konter zu unterbinden und das Zentrum dicht zu halten.
FC Arsenal
FORM: In der englischen Premier League feierte Arsenal zuletzt fünf Siege in Folge und kam dabei auf ein Torverhältnis von 21:2. Die Defensive befindet sich in herausragender Verfassungen. In den vergangenen drei Duellen ließ man nur zwei Schüsse auf das eigene Tor zu. Beim FC feierten die Gunners einen 5:0-Sieg, West Ham fügte man eine 6:0-Pleite hinzu. Bukayo Saka erzielte jeweils einen Doppelpack.
ERFAHRUNG: Mit Jorginho und Kai Havertz hat man zwar einen ehemaligen Champions-League-Sieger in den eigenen Reihen, insgesamt hat man aber relativ wenig Erfahrung in der europäischen Königsklasse. An den letzten sechs Ausgaben nahmen die Londoner nicht teil. Zuletzt kam man in der Spielzeit 2009/10 über das Achtelfinale hinaus. Es besteht Nachholbedarf!
TAKTIK: In den vergangenen Wochen überraschte Arsenal-Coach Mikel Arteta mit einem neuen taktischen Ansatz. Linksverteidiger Oleksandr Zinchenko orientierte sich seltener ins zentrale Mittelfeld, sondern hielt sich bevorzugt in Nähe der Seitenlinie auf. Stattdessen rückte der nominelle linke Flügelstürmer Kai Havertz ins Zentrum, um die beiden Sechser Jorginho und Declan Rice sowie Spielmacher Martin Ödegaard im Spielaufbau zu unterstützen. Die schnellen Offensivkräfte Bukayo Saka und Gabriel Jesus lassen sich unterdessen auf den Flügel fallen und starten bei Gelegenheit gefährliche Tiefenläufe.
Unter Arteta stehen die Gunners für eine intelligente Raumorientierung und einen geordneten Spielaufbau. Bei manchen Fans mag die geduldige Spielweise eine gewisse Langeweile erzeugen, allerdings verfügt Arsenal mittlerweile über die nötigen Stilmittel, um sich von aggressiv attackierenden oder tiefstehenden Gegner nicht sofort in die Enge treiben zu lassen. Auch auf internationaler Bühne könnte das ein wichtiger Trumpf sein.
Match-Center: FC Porto vs. FC Arsenal (Mittwoch, 21 Uhr)
SSC Neapel
FORM: Auch nach dem Trainerwechsel von Rudi Garcia zu Walter Mazzari lässt der italienische Meister eine gewisse Konstanz vermissen. Am Samstag holte man sich im Heimspiel gegen Genoa nur ein 1:1-Unentschieden. Nur drei Siege aus den letzten zehn Ligaspielen sind für Napolis Ansprüche einfach zu wenig. In der Serie A liegt man aktuell nur auf Tabellenplatz neun und muss um die erneute Qualifikation für das europäische Geschäft bangen.
ERFAHRUNG: Im Vorjahr erreichten die Neapolitaner das Viertelfinale der UEFA Champions League. Davon abgesehen war man deutlich häufiger in der unterklassigen Europa League zu Gast. Die meiste CL-Erfahrung hat Piotr Zielinski mit 41 Einsätzen (sieben Tore). Afrika-Cup-Finalist Victor Osimhen präsentierte sich in der Königsklasse bislang relativ treffsicher und kommt auf acht Treffer in 15 Einsätzen.
TAKTIK: Nach seinem Amtsantritt im November 2023 erklärte Trainer Walter Mazzarri, dass Napoli ein neues taktisches Gesicht benötigt. Anstatt weiterhin auf das von Luciano Spalletti perfektionierte 4-3-3 zu setzen, entschied sich der 62-jährige Italiener für ein 3-5-2. Das Ziel, dadurch die Defensive zu stabilisieren, wurde nicht erreicht. Grundsätzlich steht Mazzarri ohnehin für eine auf Kontrolle und Dominanz bedachte Spielweise. Die Rollenverteilung im Mittelfeld ähnelt jener unter Spalletti. Stanislav Lobotka dafür verantwortlich, die Defensive zu stabilisieren. Zambo Anguissa ist ein klassischer Box-to-Box-Spieler. Der offensive Halbraum wird von Zielinski bzw. Hamed Traore besetzt.
FC Barcelona
FORM: Der FC Barcelona steckt in einer extrem schwierigen Phase. Trainer Xavi Hernandez wird den Verein mit Saisonende verlassen. Das Geld ist knapp, das Umfeld ist nervös. Dass man in LaLiga seit vier Spielen ohne Niederlage ist, sorgt auch nicht für die nötige Ruhe. Denn gegen Osasuna, Alaves, Granada und Celta Cigo waren Siege ohnehin Pflicht - und wirklich überzeugend war die Spielweise der Blaugrana auch nicht.
ERFAHRUNG: Mit Robert Lewandowski (92 Treffer) hat Barca den drittbesten CL-Torschützen aller Zeiten im Kader. Ergänzt wird das Team durch die ehemaligen Königsklassen-Sieger Marc-Andre ter Stegen, Ilkay Gündogan, Sergio Roberto und Marcos Alonso. In den vergangenen Jahren mussten die Katalanen aber kleinere Brötchen backen. Zuletzt erreicht man das Viertelfinale der UEFA Champions League in der Spielzeit 2019/20.
TAKTIK: Nicht Fisch, nicht Fleisch: Einer der größten Kritikpunkte an Noch-Trainer Xavi Hernandez ist, dass weiterhin keine klare Handschrift von ihm zu erkennen ist. Von Tiki-Taka ist Barcelonas Spielweise weit entfernt. Dass die Formation auf dem Papier ein 4-3-3 darstellt, kaschiert diverse Mängel nur unzureichend.
Große Sorgen bereiten eine miserable Chancenverwertung und eine katastrophale Defensive. Der Teufel liegt im Detail: Häufig geraten die Blaugrana früh in Rückstand. Nicht selten werden die Gegentore durch Momente fehlender Konzentration verursacht. Einmal entscheidet sich Frenkie de Jong für eine riskante Spielverlagerung und verursacht dadurch einen Ballverlust, einmal wird die Tiefe nicht hinreichend abgesichert. Problematisch in dieser Hinsicht ist vor allem die offensive Spielweise der beiden Außenverteidiger Alejandro Balde und Joao Cancelo.
Match-Center: SSC Neapel vs. FC Barcelona (Mittwoch, 21 Uhr/LIVE in der Flashscore Audioreportage)