Analyse: Drei Gründe, warum der FC Bayern wieder einmal verloren hat
Wir müssen uns über den FC Bayern unterhalten. Ob wir wollen oder nicht. Die Münchener sind das Aushängeschild Deutschlands und neben Leverkusen in der Europa League der letzte verbliebene internationale Vertreter. Da tut es doppelt und dreifach weh, wenn man eine 3:0-Klatsche gegen Manchester City kassiert. Was gestern im strömenden Regen Nordenglands passiert ist, fühlt sich wie eine Demütigung an. Nicht nur für Bayern-Fans.
Es ist immer etwas vermessen, wenn Journalisten Ratschläge abgeben – wir sind externe Beobachter, die sich auf subjektive Eindrücke und Statistiken verlassen müssen, die nur selten Einblick in Vereinsinterna erhalten.
Angesichts der Tragweite der gestrigen Niederlage: Fühlen wir uns aber dazu verpflichtet, ein paar Worte zu verlieren. Und mögliche Gründe zu nennen, wieso die Bayern zurzeit keiner europäischen Spitzenmannschaft gleichen.
Grund 1: Nicht Yann Sommer
Thomas Tuchel brüllte noch: “Nicht so weit, Leon!” Womit Leon Goretzka gemeint war. Der wollte Alphonso Davies unterstützen, weil Davies für seine defensive Anfälligkeit berüchtigt ist, weil City ihn aber immer wieder zu defensiven Aktionen zwang. Häufig ließ sich De Bruyne auf die linke Bayern-Seite fallen.
Gut gemeint war in diesem Fall das Gegenteil von gut. Goretzka rückte auf den Flügel, Joshua Kimmich nicht nach. Dadurch war das Zentrum verwaist. Wenn Musiala in einen Zweikampf mit Rodri gerät, passt offensichtlich die Zuordnung nicht. Citys Nummer 16 zog einfach mal ab. Der Schuss ging genau in den Knick. Yann Sommer hechtete nach, war aber chancenlos.
Was nicht nur die Sport Bild die sinnbefreite Frage stellen ließ: “Hätte Manuel Neuer diesen Ball gehalten?” Neuer ist zehn Zentimeter größer, Sommers Körpergröße von nur 1,83 Meter ist ein gern genutztes Thema, um aufzuzeigen: “So toll ist der gar nicht.”
Die Sport Bild hat natürlich die falsche Frage gestellt. Richtig wäre gewesen: Hätte Sven Ulreich den gehalten? Denn: Herr Neuer konnte die Kugel nicht aus dem Kreuzeck fischen, weil er sich im Winter den Oberschenkel gebrochen und seine Bosse in einem winzigen Transferfenster zu einer Reaktion gezwungen hat. 8 Millionen für Yann Sommer? Ein Schnäppchen. Das bewies er im zweiten Durchgang mehrmals mit unfassbaren Reaktionen.
Natürlich musste der Boulevard das Thema Sommer trotzdem ausschlachten. Noch während das Spiel voll im Gange war. Womit wir beim nächsten Thema wären.
Grund 2: Comeback vom FC Hollywood
Ein Sieg gegen verunsicherte Dortmunder, das Pokalaus in Freiburg, ein knapper 1:0-Erfolg über Freiburg, die deftige Watschn im Etihad: Das hätte auch Julian Nagelsmann geschafft.
Was keine Kritik an Thomas Tuchel sein soll. Sondern an den Entscheidungsträgern Kahn und Salihamidzic. Wenngleich Tuchel seit seinem CL-Triumph mit Chelsea der Ruf eines Wunderheilers anhaftet, war der Trainerwechsel vollkommen falsch. Nicht in der Sache. Der Zeitpunkt – während der Länderspielpause, vor sechs richtungsweisenden Partien – hat Tuchel vor gewaltige Probleme gestellt.
Es mag sein, dass Nagelsmann Teile der Kabine verloren hat. Dass Thomas Müller oder Manuel Neuer sich mit dem jungen, noch fast titellosen Trainer schwergetan haben. Auch Leroy Sané blüht unter dem neuen Coach auf. Wenn gegen City offensive Gefahr entstand, dann über Sané. Weil er endlich einen fixen Platz im System gefunden hat. Insofern könnte der Trainerwechsel für manche Akteure ein Brustlöser gewesen sein.
Andere Spieler jedoch wurden vor den Kopf gestoßen: Upamecano etwa, dem Nagelsmann die Fähigkeiten eines modernen Weltklasse-Innenverteidigers verliehen hatte. Upas Spielaufbau war auch am Dienstag phasenweise sensationell. In der zweiten Hälfte unterliefen ihm aber erstaunliche Fehler. Ein Zeichen von Verunsicherung.
Kapitän Kimmich hatte nach dem deutschen Länderspiel gegen Peru tiefe Einblicke gewährt: “So ist das Geschäft. Wenig Liebe, wenig Herz. Wir müssen mit der Entscheidung leben.” Aber längst hat man an der Säbener Straße wieder den Boulevard stark gemacht, durch schlechtes Timing und eine fragwürdige Kommunikationsstrategie.
Stabilität wäre in der entscheidenden Saisonphase kein Nachteil gewesen. Stattdessen ist nun Flexibilität gefragt. Ohne erkennbare Not hatten sich Kahn und Salihamidzic zu einem Umbruch entschieden. Zu einem Zeitpunkt, 17 Spieler überhaupt nicht am Trainingsgelände, sondern bei ihren Nationalmannschaften waren.
Kurios: Thomas Tuchels Einstellung hat ein Problem erzeugt, für das nur Thomas Tuchel die richtige Lösung sein kann. Jetzt ist Pragmatismus gefragt. Den berrscht der Realist Tuchel.
Es wäre eine Überlegung wert, João Cancelo vermehrt als Linksverteidiger aufzubieten, weil er nicht die defensiven Mängel von Davies hat. Es wäre eine Überlegung wert, Ryan Gravenberch eine Chance im zentralen Mittelfeld zu geben. Goretzka befindet sich in schwacher Form. Die Fehler, die er begeht, könnte auch Gravenberch machen und dadurch Erfahrungen sammeln. Jetzt muss der neue Coach aus dem vorhandenen Kader verborgenes Talent schürfen.
Grund 3: Kein gelernter Mittelstürmer
Serge Gnabry hat gestern sein vielleicht harmlosestes Spiel im Bayern-Trikot absolviert. City agierte regelmäßig mit Fünferkette, Rúben Dias war schlicht und einfach unüberwindlich. Es wirkte extrem unbeholfen, wie sich Gnabry für Zuspiele anbot. Manchmal schien es gar, er verstecke sich hinter seinen Gegenspielern.
Gnabry weiß nicht, wie er sich im Angriffszentrum zu bewegen hat. Es war vernünftig von Tuchel, Sadio Mané im Schlussdrittel auf die Neun rücken zu lassen. Doch auch der Senegalese ist auf dieser Position nicht beheimatet. Auch er kommt lieber vom Flügel, wo der FCB ein extremes Überangebot hat.
Bayerns Spiel ist auf Dominanz ausgerichtet. Womit auch physische Dominanz gemeint ist. Gnabry wiegt 77 Kilogramm. Er war in 80 Minuten Einsatzzeit an exakt einem Angriff direkt beteiligt. Eine miserable Bilanz. Zudem kann eine falsche Neun nur funktionieren, wenn die eigene Mannschaft das Mittelfeld dominiert. Gegen eine von Guardiola gecoachte Mannschaft – fast unmöglich.
Thomas Tuchel waren die Hände gebunden. Mathys Tel und Eric-Maxim Choupo-Moting fehlten in Manchester verletzungsbedingt. Und selbst, wenn beide ihr Comeback feiern, ist das Problem nicht letztgültig gelöst. Denn auch ihnen fehlt (noch oder mittlerweile) die nötige Qualität, um auf allerhöchstem Niveau mitspielen zu können.
Die Antwort auf Lewandowskis Abgang wurde nicht gegeben. Im Sommer muss der FC Bayern endlich reagieren. Dafür muss man auch nicht unbedingt ins allerhöchste Regal greifen. Will man 100-Millionen-Euro-Transfers aus dem Weg gehen – gibt es immer noch Leute wie Marcus Thuram oder Roberto Firmino, die beide im Sommer ablösefrei zu haben wären.