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"Im Herzen von Europa": Wenn aus Zwietracht die Frankfurter Eintracht wird

Micha Pesseg
Aktualisiert
Frankfurter Fans beim Singen von "Im Herzen von Europa".
Frankfurter Fans beim Singen von "Im Herzen von Europa".Profimedia
Eintracht Frankfurt ist einer der emotionalsten Fußball-Standorte Deutschlands. Nach dem Gewinn der Europa League 2022 hat sich der Verein verändert, bei Fans und Beobachtern ist die Erwartungshaltung gestiegen. Kritische Worte gehören bei der SGE fast zum guten Ton. Doch vor jedem Heimspiel im Waldstadion herrscht für zweieinhalb Minuten wahre Eintracht - wenn die Vereinshymne "Im Herzen von Europa" erklingt, bekommen auch Nicht-Frankfurter Gänsehaut.

Frankfurt am Main ist die fünftgrößte Stadt Deutschlands. Sie ist die Heimat einer der größten Wertpapierbörsen weltweit, des größten deutschen Verkehrsflughafens und von fast 800.000 Menschen. Und sie ist die Heimat von Eintracht Frankfurt.

Die Frankfurter Sportgemeinde Eintracht - kurz: SGE - ist eines der Gründungsmitglieder der deutschen Bundesliga und liegt in der Ewigen Tabelle auf Platz acht. Sie wurde 1899 gegründet, ist einer der großen Traditionsvereine Deutschland und hat aktuell über 140.000 Mitglieder.

1959 wurde man deutscher Meister, 1980 gewann man den UEFA-Pokal, fünfmal gewann die Eintracht den DFB-Pokal, zuletzt 2018 nach einem knappen Finalsieg über den großen FC Bayern München. In der Saison 2021/22 kam überraschenderweise der Gewinn der UEFA Europa League hinzu. Zusammen mit einer jungen, motivierten Truppe holte der damalige Trainer Oliver Glasner den zweitwichtigsten Pokal Europas nach Frankfurt. 

Ein Verein, der von Emotionalität lebt

Der unerwartetste Triumph bedeutete für die tausenden Anhänger einen der vielleicht schönsten Momente ihres Lebens. Doch er hat den Verein grundlegend verändert. In den Medien stieg die Erwartungshaltung enorm, bei den zigtausenden Fans entzündete sich eine Debatte um die richtige Spielkultur und um eine homogene Kaderplanung.

Sportdirektor Markus Krösche hat sich über die Landesgrenzen hinaus ein hohes Standing erarbeitet. Unter ihm wurden Spieler wie Randal Kolo Muani, Jesper Lindström und Filip Kostić mit hohem Gewinn verkauft. Ein Verdienst, der nicht unterschätzt werden sollte, denn in der Vergangenheit herrschte bei der SGE meist klamme Kasse. Gutes, länderübergreifendes Scouting und ein junger, entwicklungsfähiger Kader sind am Main mittlerweile Teil eines wichtigen Geschäftsmodells. 

Doch die Fanszene kritsiert nicht zu Unrecht, dass durch die zahlreichen Neuzugänge und Abgänge immer weniger Identifikation mit der Mannschaft möglich ist. Vereinstreue Spieler und Publikumslieblinge wie Makoto Hasebe, Kevin Trapp, Sebastian Rode und Timmy Chandler sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Auch der eher biedere Spielstil unter Trainer Dino Toppmöller sorgt auf der Tribüne und in Fan-Blogs regelmäßig für einen gewissen Unmut.

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Ein Lied beschwört Zusammenhalt

Und doch gibt es bei der Eintracht Momente, in denen all diese Sorgen vergessen werden. In denen die Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund rücken und die Freude am Sport im Mittelpunkt steht. Vor jedem Heimspiel ertönt die Vereinshymne "Im Herzen von Europa." Ursprünglich hatte der örtliche Polizeichor das Lied 1959 als Huldigung an die Stadt Frankfurt geschrieben. Anlässlich des 75-jährigen Vereinsjubiläums wurde dem Lied ein neuer Anstrich verpasst und der Text umgearbeitet.

Doch bis es den Weg ins Stadion fand, zur Hymne und zur Pflichtlektüre für jeden jungen SGE-Anhänger wurde, dauerte es noch. Norbert Böcher - Sohn eines der beiden Komponisten vom Polizeichor - hatte 2018 in einem Gespräch mit der "Frankfurter Neuen Presse" die Entstehungsgeschichte nacherzählt.

Erst Ende der 1990er-Jahre wurde "Im Herzen von Europa" zum ersten Mal im Stadion abgespielt. Ein Fan hatte eine alte Schallplatte gefunden, war vom einzigartigen Charme des Songs begeistert und empfahl ihn dem damaligen Stadionsprecher André Rothe. Zum hundertjährigen Vereinsjubiläum fand das Stück auch seinen Weg auf eine CD-Sonderausgabe und fand so bei den Fans immer größere Beachtung.

Wenn das gesamte Waldstadion diesen Text mitgrölt, bekommen nicht nur die Eintracht-Fans Gänsehaut. Das ursprünglich als Schunkelwalzer geschriebene Lied verkörpert eine für die hessichen Einwohner typische Gemütlichkeit. Wenn aber die selbstbewussten, kampflustigen Zeilen "Jeder wird sagen, ohne zu fragen in dieser schönen Stadt am Main / Eintracht aus Frankfurt, du schaffst es wieder, Deutscher Meister zu sein!" erklingen, bekommt es die gesamte Bundesliga mit der Angst zu tun.

Und wenn das "Sport" in der Zeile "Der Eine liebt sein Mädchen, und der andre liebt den Sport" verdoppelt und nicht gesungen, sondern geschrien wird, dann wird aus der Angst auch eine gewisse Begeisterung. Man muss kein Eintracht-Fan sein, um dieses Lied zu lieben und es in einer Reihe mit anderen Stadionklassikern wie Liverpools "You'll Never Walk Alone", Werder Bremens "Lebenslang Grün-Weiß" und West Hams "I'm Forever Blowing Bubbles" zu verorten.

Match-Center: Eintracht Frankfurt vs. FC Augsburg