Bundesliga-Analyse: Fünf erstaunliche Beobachtungen zum 1. Spieltag
1) FC Bayern: Harry Kane ist keine echte Neun
100 Millionen Euro für Harry Kane? Falls der FC Bayern einen klassischen Mittelstürmer, eine echte Neun, verpflichten wollte, ist das misslungen. Vor dem Kasten ist Kane eiskalt, er verfügt über eine bullige Statur, klar. Doch erst eine andere Fähigkeit macht den englischen Teamkapitän zu etwas Besonderem. Er lässt sich gerne fallen und setzt seine Mitspieler durch Pässe in die Tiefe in Szene. Wie aus England gewohnt, agierte der 30-Jährige als abkippender Mittelstürmer.
Bei Tottenham hat das Zusammenspiel mit dem schnellen Heung-min Son bestens funktioniert, in München könnte Leroy Sane sein liebster Sturmpartner werden. Kanes Vorlage zum ersten Bayern-Treffer war Weltklasse, genau in den Lauf von Sane. Kanes Spielweise steht dem FCB wohl besser zu Gesicht als eine Straufraumkobra ohne Gefühl für die Mitspieler.
Joshua Kimmich besitzt die defensiven Fähigkeiten, um den Sechserraum zu besetzen - in der Vorsaison wagte er sich überdurchschnittlich häufig an den gegnerischen Strafraum, aus dem Gefühl heraus, dass seine Spielmacher-Qualitäten dringender gebraucht werden als seine Qualitäten als Abfangjäger.
Kanes Ankunft verändert also die Statik beim FC Bayern, entlastet Kimmich als Passgeber und gibt den schnellen Flügelspielern Gelegenheit, mehr Tiefenläufe zu starten.
Zum Match-Center: Bremen vs. Bayern
2) Leverkusen: Granit Xhaka stabilisiert das Mittelfeld
Xabi Alonso möchte seine Leverkusener künftig weniger Power- und mehr Ballbesitzfußball spielen lassen.
Dafür notwendig: Ein Gefühl für den richtigen Pass und ein Spieler, der nach Ballverlust rasch wieder einen Ballgewinn provozieren kann. Denn, um es mit Jürgen Klopp auszudrücken: "Gegenpressing ist der beste Spielmacher." Ein hoher Ballgewinn hat einen kurzen Weg zum gegnerischen Tor zur Folge.
Granit Xhaka ist mit seiner aggressiven Spielweise dafür prädestiniert. Und das machte sich auch gegen RB Leipzig bemerkbar. Zeit am Ball hatten die Roten Bullen nur selten. Nur seinem Mitspieler und Nebenmann Odilon Kossounou gelangen gegen Leipzig mehr Balleroberungen. Vor dem Tor zum 1:0 (24. Minute) machte sich das unmittelbar bezahlt. Auf einen Ballgewinn von Kossounou folgte ein Traumpass von Xhaka.
Der Schweizer stabilisiert das Bayer-Mittelfeld und ermöglicht seinem Nebenmann Exequiel Palacios, öfter den Weg ins Angriffsdrittel zu suchen.
Zum Match-Center: Leverkusen vs. Leipzig
3) Stuttgart: Millot mit neuer Rolle
Nach dem spontanen Abgang von Wataru Endo musste VfB-Trainer Sebastian Hoeneß kreativ werden. Er entschied sich dafür, Enzo Millot auf der Doppelsechs aufzustellen, neben Abräumer Atakan Karazor.
Der 21-jährige Franzose machte seine Aufgabe außerordentlich gut. Karazor hielt dem kreativ veranlagten Millot den Rücken frei. Er durfte sich auf gestalterische Aktionen fokussieren. 67 seiner 78 Pässen kamen an den Mann, obwohl harmlose Querpässe in seinem Repertoire kaum zu finden sind.
Die Rolle des zurückgezogenen Spielmachers scheint ausgezeichnet zu Millot zu passen. Seine langen Zuspiele in die Spitze kamen nicht wie gewünscht an (nur 25 Prozent Erfolgsquote). Gelingt ihm in dieser Hinsicht eine Leistungssteigerung, kann er für Hoeneß zum Anker im Mittelfeld werden und die VfB-Offensive um ein neues Mittelfeld bereichern.
Zum Match-Center: Stuttgart vs. Bochum
4) Mönchengladbach: Anfällig am linken Flügel
Viermal kam Augsburg rechter Flügelspieler Ruben Vargas am Samstag zum Abschluss. Luca Netz kann dem Himmel dafür danken, dass Vargas nur eine dieser Chancen verwertete - ansonsten stünde Mönchengladbachs linker Verteidiger heftig in der Kritik.
Dem 20-Jährigen wird in der neuen Saison viel Vertrauen geschenkt, er tritt das Erbe von Ramy Bensebaini an. Durch die angespannte Kadersituation ist Netz ein Stammplatz nahezu sicher. Doch den muss er in naher Zukunft auch durch starke Leistungen bestätigen.
In Augsburg ließ er sich zu einfach abkochen. Auch sein Vordermann Nathan Ngoumou muss sich an der Nase fassen. Der Franzose erzielte zwar den dritten Treffer für die Borussia, scheute aber häufig die wichtige Abwehrarbeit.
Zum Match-Center: Augsburg vs. Gladbach
5) Frankfurt: Angst vor dem Kontrollverlust
569 versuchte Pässe - nur Bayern München (656) und Borussia Dortmund (720) wollten sich am 1. Bundesliga-Spieltag häufiger den Ball zuschieben. Die Frage, welche Ausrichtung Dino Toppmöller in seinem ersten Jahr als SGE-Trainer wählt, wurde beantwortet. Im Vergleich zu seinen Vorgängern legt der 42-Jährige viel Wert auf Ballbesitz und einen geordneten Spielaufbau. Ein krasser Stilbruch im Herzen von Europa.
Gegen Darmstadt fruchtete der neue Ansatz noch nicht. Das Zentrum wurde nicht kontrolliert, die hessischen Adler waren zu statisch, um kontinuierlich Torgefahr zu erzeugen.
Was auch daran lag, dass Neuzugang Ellyes Skhiri noch kaum in das Spiel eingebunden war. Ihm gelangen nur vier progressive Aktionen. Die Schienenspieler Philipp Max (14) und Junior Dina Ebimbe (15) sorgten deutlich häufiger für Raumgewinn.
Der Tunesier ist es gewohnt, vor einer Viererkette zu spielen, das typische 3-4-3 passt aber ohnehin nicht zur Spielidee von Dino Toppmöller. Heißt: In absehbarer Zeit wird die Viererkette am Main ihr Comeback feiern. Heißt auch: Die Eintracht darf nicht verlernen, das Risiko zu suchen und sich der Illusion hingegeben, Ballbesitz bedeutet gleich Spielkontrolle.
Zum Match-Center: Frankfurt vs. Darmstadt