Basteln für den Sieg: Nagelsmanns Not-Kader in Bosnien gefordert

Hoch ragen die Beton-Türme über dem Stadion Bilino Polje. Ein rostigiger, charmanter Bau. Die Szenerie in der alten Berg- und Stahlarbeiterstadt Zenica im frühabendlichen Sonnenschein - schön, typisch Bosnien.

Und mittendrin: Bundestrainer Julian Nagelsmann, die Hände in den Hosentaschen. Er fokussiert sich auf das Abschlusstraining, hat die 22 Kaderspieler, die nicht vom Verletzungsteufel heimgesucht wurden, fest im Blick. Mit seinem Assistenten Sandro Wagner bespricht er Anweisungen, führt Gespräche.

Motiviertes Bosnien-Herzegowina

Ihn und die deutsche Nationalmannschaft erwartet in Bosnien-Herzegowina kein freundlicher Empfang. Die Fans sind heißblütig, aber friedlich. Im Gegensatz zur von HSV-Idol Sergej Barbarez trainierten Mannschaft. Die möchte "rennen, kratzen, beißen", wie es Bundesliga-Profi Ermedin Demirovic ausdrückt: "Deutschland erwartet eine ganz andere Sportart." 

Auch Nagelsmann weiß, dass seine Auswahl nach der Absageflut in "hitziger Atmosphäre" bestehen muss. Wer Lust auf eine Runde Nostalgie hat, dem wird im 13.500 Zuschauer fassenden Stadion Bilino Polje geholfen. Flair: 1. Runde im DFB-Pokal. Die größeren Arenen (beispielsweise in Sarajevo) sind von den Verbänden nicht zertifiziert.

Match-Center: Bosnien-Herzegowina vs. Deutschland

Drei Punkte für den inneren Frieden

Der Bundestrainer ist nach insgesamt sieben Absagen als Bastler gefordert. Widrige Umstände vor einem richtungsweisenden Duell in der UEFA Nations League. Ausreden möchte Nagelsmann am Freitagabend (20:45 Uhr/LIVE bei RTL und in der Flashscore-Audioreportage) aber nicht gelten lassen: "Wir wollen in Bosnien und Herzegowina gewinnen."

Ohne Jamal Musiala fehlt Florian Wirtz aber sein kongenialer Spielpartner. Das Duo versteht sich privat gut, auf dem Feld noch besser. Andere Akteure sind gefordert. Etwa Serge Gnabry, der beim FC Bayern in den vergangenen Wochen gut in Fahrt gekommen ist. In der laufenden Bundesliga-Saison erzielte der 29-Jährige bereits zwei Saisontore.

"Ich bin einer, der vorangeht", betonte Gnabry. Qualitäten, die am Freitag unbedingt benötigt werden. Eine Niederlage in Bosnien-Herzegowina würde den Aufwärtstrend der DFB-Elf trüben. Nagelsmann aber wünscht sich eine optimistische Stimmung im Heimatland. Denn um das eigentliche Ziel zu erreichen - der WM Titel 2026 - ist ein ruhiges, stabiles Umfeld oberste Bedingung. 

Doch wer große Ziele hat, muss große Aufgaben bewältigen. Jede erfolgreichere Mannschaft hat auch ihre Rückschläge erlebt. Deutschland hatte zuletzt einige. Das Trauma zweier verpatzter WM-Gruppenphasen würde spätestens bei der Endrunde in den USA, Kanada und Mexiko wieder in den Vordergrund kommen.

Tag der Debütanten

Dennoch: Joshua Kimmich fühlt sich wie im falschen Film. "Das ist verrückt", sagte er. Seit der Nominierung habe sich "gefühlt der halbe Kader verändert." Tim Kleindienst - Ersatz für den verletzen Niclas Füllkrug - darf mit einem Startelf-Einsatz rechnen. Der Angreifer von Borussia Mönchengladbach gibt sich gelassen: "Es ist nur Fußball, elf gegen elf."

Kleindienst wird nicht der einzige Debütant in den kommenden Tagen sein. Alexander Nübel wird in Bosnien-Herzegowina den deutschen Kasten hüten, Oliver Baumann darf selbiges am Montag gegen die Niederlande tun. 

Auch Jamie Leweling und Jonathan Burkardt dürfen sich Hoffnung auf ihre große Premiere im DFB-Trikot machen. Leweling hat sich beim VfB Stuttgart als Stammspieler etabliert, könnte als Joker Dampf über den Flügel machen. Burkardt entwickelt sich bei Mainz 05 zur Vereinsikone: 24 Jahre jung, Eigenbauspieler, Kapitän. Fünf Treffer sind ihm in dieser Bundesliga-Saison bereits gelungen. 

Kimmich ist mit den Neulingen zufrieden: "Es ist wichtig, dass man sich das Hiersein verdienen muss - das haben die Jungs getan." Dennoch: Nagelsmann wollte eigentlich nur "minimale Änderungen" an seinem Kader vornehmen. Die Länderspiele im Oktober hätten ursprünglich dazu dienen sollen, die interne Hierarchie zu festigen. Stattdessen muss der Bundestrainer kreativ werden, zahlreiche Umstellungen vornehmen. 

Aber: Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Wer kann ausschließen, dass die Debütanten von heute nicht morgen die großen Helden sein werden - jene Spieler, denen bei der WM 2026 ganz Deutschland zujubelt?

Voraussichtliche Aufstellungen

Bosnien-Herzegowina (4-1-3-2):

Vasilj/FC St. Pauli (28 Jahre/11 Länderspiele) - Barisic/FC Basel (23/6), Katic/FC Zürich (28/5), Bicakcic/Eintracht Braunschweig (34/38), Kolasinac/Atalanta Bergamo (31/58) - Burnic/Karlsruher SC (26/4) - Gazibegovic/Sturm Graz (24/19), Huseinbasic/1. FC Köln (23/4), Gigovic/Holstein Kiel (22/6) - Dzeko/Fenerbahce (38/136), Demirovic/VfB Stuttgart (26/28)

Deutschland (4-2-3-1):

Nübel/VfB Stuttgart (28/0) - Kimmich/Bayern München (29/93), Rüdiger/Real Madrid (31/74), Tah/Bayer Leverkusen (28/31), Mittelstädt/VfB Stuttgart (27/8) - Groß/Borussia Dortmund (33/10), Andrich/Bayer Leverkusen (30/12) - Gnabry/Bayern München (29/45), Undav/VfB Stuttgart (28/4), Wirtz/Bayer Leverkusen (21/25) - Kleindienst/Borussia Mönchengladbach (29/0)

Schiedsrichter:

Francois Letexier (Frankreich)