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Der Senkrechtstarter aus Monaco: Formel-1-Fahrer Charles Leclerc im Portrait

Michel Egenolf / Roman Bartz
Aktualisiert
Viel Talent, aber auch viel Pech bisher in seiner Karriere: Charles Leclerc.
Viel Talent, aber auch viel Pech bisher in seiner Karriere: Charles Leclerc.AFP
Normalerweise ist das größte Problem eines Formel-1-Fahrers der direkte Konkurrent in der Fahrerwertung oder auf der Strecke. Da ist es dann auch egal, ob es um Position 1 oder Position 7 geht. Niemand lässt sich gerne überholen. Bei anderen Fahrern ist der Teamkollege das größte Problem, wie etwa bei Daniel Ricciardo im vergangenen Jahr. Und dann gibt da es einen Fahrer, der ein ganz anderes Problem hat. Bei Charles Leclerc ist es buchstäblich gesehen "weniger" als der Team-Kollege. Beim Monegassen ist das Problem häufig das Team, welches ihn bremst. Dieses Problem ist aber riesig.

Charles Leclerc ist zweifelsohne einer der talentiertesten Fahrer im Feld des Formel 1-Zirkus. Der Monegasse ist gesegnet mit einzigartigen Fähigkeiten im Cockpit. Er ist unglaublich schnell. So schnell, dass er in der vergangenen Saison, in der der große Dominator Max Verstappen das Feld nach Belieben kontrollierte, mehr Poles holte als der Niederländer. Wie schnell Leclerc auf eine Runde ist zeigen seine neun Poles im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Verstappen gelangen 2022 "nur" sieben Poles. Auf eine Runde gesehen war im vergangenen Jahr der 25-jährige Leclerc also der stärkere Fahrer. Was allerdings aus Leclercs neun Poles folgte, ist ernüchternd. Der Monegasse konnte insgesamt nur drei Rennsiege im Jahr 2022 erreichen, Verstappen hingegen fuhr deren ganze 15 ein - und wurde am Ende souverän Weltmeister, obwohl er nur sieben Mal als Führender ins Rennen gegangen war.

Es wäre zu einfach zu sagen, dass der RB18 im vergangenen Jahr einfach das bessere Auto auf die gesamte Renndistanz war. Dieses Argument ist prinzipiell richtig, dennoch hätten auf Seiten Leclercs alleine aufgrund seiner überragenden Startpositionen mehr Siege herausspringen können und müssen. Woran lag es denn dann nun? Ganz einfach: Viele Siege und Podestplätze hatte die Scuderia mit Fehlern in der Strategie oder einem unzuverlässigen Boliden weggeworfen. Mit mehr Können und Glück wäre eventuell sogar schon der Angriff auf den Weltmeistertitel möglich gewesen.

Nicht vergessen sollte man jedoch auch, dass Leclerc selbst auch schwerwiegende Fehler machte: In Imola drehte er sich auf der Strecke in der Variante Alta und verlor dadurch fünf Plätze, in Frankreich warf er in Führung liegend seinen Boliden in Kurve elf weg und schlug in der Mauer ein. Statt mit mindestens 25 WM-Punkten auf dem Konto ging Leclerc leer aus. Sein Talent ist unbestritten und dass der Monegasse ein zukünftiger Formel1-Weltmeister wird, da sind sich fast alle Experten einig.

Der Senkrechtstarter aus Monte Carlo

Doch wer ist eigentlich dieser Charles Leclerc? 1996 in Monte Carlo geboren, stammt Charles Leclerc aus durchschnittlichen Verhältnissen, auch wenn sein Geburtsort das nicht unbedingt nahelegt. Seine Großeltern besaßen eine Plastikproduktionsfirma und finanzierten dem jungen Charles den Einstieg in seine Motorsportkarriere. Diese Laufbahn lag nicht fern, denn vertraut man dem Sprichwort, so fällt der Apfel ja nicht weit vom Stamm: Hervé Leclerc, Vater von Charles, fuhr in den 80er-Jahren in der Formel 3 und konnte seinen Sohn mit der Begeisterung für den Motorsport anstecken.

Trotzdem wäre es beinahe nie zu Leclers Weltkarriere gekommen. 2010 schlitterten seine Großeltern mit ihrer Firma in wirtschaftliche Probleme. Der junge Charles hätte seine beginnende Karriere begraben müssen, wäre ihm nicht der Vater seines Konkurrenten Jules Bianchi zu Hilfe gekommen. Mit der Zusicherung finanzieller Unterstützung stand Leclerc nicht mehr viel bei seinem rasanten Aufstieg im Weg. 2013 nahm Leclerc an der Kart-Weltmeisterschaft teil und musste sich am Ende nur einem Konkurrenten geschlagen geben: Na klar, Max Verstappen. Leclerc ließ sich aber nicht beirren und suchte nach weiteren Herausforderungen. Ein Jahr später wurde er erneut Zweiter, dieses Mal beim Alpencup der Formel Renault 2.0. Beim alljährlichen Macau Grand Prix 2015 komplettierte er das Vizetriple. Sein Talent blieb natürlich nicht unbemerkt und wurde 2016 mit der Aufnahme in die Ferrari-Akademie honoriert. Im selben Jahr stieg er in die Formel 3 ein und holte unmittelbar den Titel, was er 2017 in der Formel 2 auf Anhieb wiederholen konnte. 

2018 war es dann schließlich so weit: Leclerc hatte mit seinen Leistungen überzeugt und wurde von Ferrari ins zweite Cockpit vom Schwesterteam Alfa Romeo verfrachtet. Sein Konkurrent dort war der erfahrene Marcus Eriksson, der immerhin sechs Jahre älter und 76 Formel 1-Rennstarts schwerer war als der erst 20 Jahre alte Leclerc. Das sollte allerdings kein Problem für den jungen Monegassen sein. Er schlug seinen schwedischen Teamkollegen locler und leicht und fuhr im mittelmäßigen Sauber zehn Mal in die TopTen. Mit 39 Punkten wurde er 13. der Fahrer-WM und wies Eriksson, der nur neun Zähler holte, klar in die Schranken. Für Eriksson war nach der Saison bei Alfa Romeo dann auch Schluss - ebenso wie für den jungen Leclerc.

Aufstieg zur Scuderia und Kampf gegen Vettel

Während Eriksson zum IndyCar "abstieg", durfte sich Leclerc ab 2019 beim großen italienischen Rennstall probieren, als zweitjüngster Fahrer der Geschichte des Rennstalls. Dort ersetzte er Kimi Raikkönen und wurde Teamkollege vom viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel. Während Vettel im Ferrari nicht so recht zurechtkam, zeigte Leclerc der Welt, wie viel Talent in ihm steckte. Bei seinem zweiten Rennstart für die Scuderia ging er von der Pole Position ins Rennen, wurde dann aber wegen eines technischen Defekts nur Dritter. In Spielberg wurde er nach langer Führung nur noch von Max Verstappen abgefangen, konnte sich aber im Verlauf der Saison zwei Siege sichern. In Spa gelang ihm der große Wurf: sein erster Sieg in der Eliteklasse des Motorsports. Seinen ersten Rennsieg widmete er seinem guten Freund Antoine Hubert, der am selben Wochenende bei einem Unfall in der Formel 2 ums Leben gekommen war. Sein zweiter Sieg gelang ihm dann im Heimrennen in Monza, was ihm die uneingeschränkte Liebe der Tifosi einbrachte, die seit 2012 auf einen Sieg der Ferraris in Monza gewartet hatten. 

Auch seinem Teamkollegen Vettel blieb nicht verborgen, dass Leclerc ihm den Rang abzulaufen drohte. Gegen Ende der Saison wurde der Zweikampf zwischen Vettel und Leclerc immer nickliger, beide Fahrer gerieten immer häufiger aneinander. In Brasilien kam es schließlich zur Eskalation: Beide Piloten kollidierten auf dem Interlagos Circuit und mussten vorzeitig das Rennen beenden. Mattia Binotto bat beide zum klärenden Gespräch, der Zweikampf der beiden ging nichtsdestotrotz ununterbrochen weiter, am Ende mit dem besseren Ausgang für Leclerc, der sich mit 264 Punkten WM-Vierter wurde. Vettel hingegen konnte "nur" 240 Punkte sammeln. 

Leclercs Vertrag bei der Scuderia wurde dank seiner starken Leistungen noch während der Saison 2019 um fünf Jahre verlängert. Es war der längste Vertrag den Ferrari jemals einem Fahrer angeboten hatte. Trotz der internen Reibereien ging Ferrari die folgende Saison mit der Fahrerpaarung Vettel-Leclerc an und erneut setzte sich der Monegasse gegen den Deutschen durch. Der Ferrari war allerdings zu schwach, um nachhaltig um Rennsiege zu kämpfen. Leclerc sicherte sich mit starken Leistungen dennoch zwei Podien und wurde mit 98 Punkten Achter in der Fahrer-WM. Vettel kam auf 33 Punkte, wurde nur 13. und verabschiedete sich nach der Saison von der Scuderia. 

Neuer Partner an Leclercs Seite wurde nun Carlos Sainz, der zuvor im McLaren gesessen hatte. Die Probleme des Ferraris waren allerdings nicht abgerissen, das Auto war immer noch nicht stark genug, um vorne mitzufahren. Leclerc wurde in einer schwächeren Saison seinerseits vom Teamkollegen knapp geschlagen und beendete die Saison nur als Siebter der Fahrer-WM. Der Monegasse startete zwar zweimal von Pole, konnte allerdings nicht so konstant abliefern wie der Spanier im anderen Cockpit. Das änderte sich dann erst wieder 2022. Neun Poles und drei Rennsiege sammelte Leclerc in einem Auto, das in einigen Bereichen endlich wieder konkurrenzfähig war. Für den Weltmeistertitel reichte es trotzdem bei Weitem nicht, auch weil Auto, Team und Fahrer zu unzuverlässig und inkonstant waren. 

Gelingt der große Wurf in diesem Jahr?

Der große Wurf soll Leclerc nun in diesem Jahr gelingen, so zumindest die Vorstellung des Monegassen und der Tifosi. Allerdings misslang der Saisonstart gehörig. Im ersten Rennen musste Leclerc seinen Boliden - mal wieder - wegen eines Defekts abstellen. Wegen der daraufhin neu verbauten dritten Steuerelektronik handelte sich der 25-Jährige eine Gridstrafe ein und musste von Rang 12 ins Rennen gehen. Am Ende reichte es für Leclerc nur zum siebten Platz, womit er in der Fahrer-WM nun schon 38 Punkte Rückstand auf den Führenden Verstappen hat. Sein Ziel am kommenden Wochenende in Australien: Den Rückstand nicht noch größer werden lassen und bestenfalls sogar verkürzen. Im letzten Jahr gelang dem Monegassen ein souveräner Start-Ziel-Sieg im Albert Park. 

18 Poles hat Leclerc der Scuderia schon beschert, am Ende haben diese allerdings nur für fünf Rennsiege gereicht. Ein klares Indiz dafür, dass nicht die Pace Leclercs, sondern das Auto und das Team das Problem ist, das angegangen werden muss, wenn man Weltmeister werden möchte. Soll es etwas werden mit dem Weltmeistertitel 2023 müssen sich die Ferraris deutlich steigern - den Fahrer für einen Weltmeistertitel haben sie allemal in den eigenen Reihen.