Darts-WM Vorschau Tag 5: Wer ist der wahre "Prince of Wales"? - Start für Ex-Sieger Price
Nachmittags-Session
Andrew Gilding v. Robert Owen
Es ist die ganz eigene Logik von Darter-Karrieren, die Andrew Gilding zum insgesamt vierten Mal zu einer Weltmeisterschaft spült. Während in anderen Sportarten die Leistungskurve im Laufe der "besten Sportlerjahre" tendenziell nach oben zeigt, den Höhepunkt erreicht und danach langsam wieder abflacht, kann das Leben eines Dartspielers ganz anders aussehen. So auch bei "Goldfinger", der mit seinen inzwischen 52 Jahren zu den erfahrenen Akteuren auf der Tour zählt. Seine Karriere war zunächst alles andere als absehbar, da er bis zum Alter von 40 Jahren gar nicht mit der Sportart in Berührung kam. Nachdem er sich dann Anfang der 2010er-Jahre in die PDC-Tour gearbeitet hatte und mit dem Halbfinale der UK Open 2015 durchaus Erfolge feiern konnte, schien es so, als sei Gildings beste Zeit vier, fünf Jahre später wieder vorbei. Er konnte sich kaum noch für Pro Tour-Events qualifizieren, musste sich auf der Challenge Tour bei kleineren Events ohne große finanzielle Möglichkeiten beweisen. Doch im Darts gelten die unnachgiebigen Regeln anderer Sportarten nicht: Durch gute Leistungen auf der European Tour erlebte der Engländer eine wahre Renaissance, kam beim Turnier in Belgien sogar ins Finale. In seinem zweiten, vielleicht sogar dritten Frühling steht er nun erneut im Alexandra Palace es ist alles andere als unwahrscheinlich, dass wir bei dieser Weltmeisterschaft noch länger Spaß an ihm haben.
Ganz im Gegensatz dazu ist sein heutiger Kontrahent Robert Owen das erste Mal bei einer PDC-WM dabei. Der 38-Jährige aus Lewistown in der Nähe von Swansea spielt für gewöhnlich auf deutlich niedrigerem Niveau als sein Gegner, auch wenn es bei den größten Karriereerfolgen eine interessante Parallele gibt: Auch Owen größter Darts-Moment war das Erreichen des Halbfinals bei den UK Open im Jahr 2018, also drei Jahre nach Gilding. Der Waliser scheiterte dort nach sensationellen Siegen gegen Ian White und John Part erst in der Runde der letzten Vier am Australier Corey Cadby. Seitdem sind mehr als vier Jahre vergangenen, die Großtaten Owens auf der PDC-Tour blieben bisher aber weitesgehend aus. Ein Sieg auf einem Challenge Tour-Event in diesem Jahr ließ ihn über die Order of Merit der zweitklassigen Turnierserie die WM-Qualifikation sichern. Ein Weiterkommen in der ersten Runde gegen Andrew Gilding wäre für Owen definitiv eine Überraschung.
Danny Jansen v. Paolo Nebrida
Als einer der interessantesten Newcomer dieses Jahres geht am Montag Danny Jansen an den Start. Der Niederländer, vor Beginn des laufenden Kalenderjahres nur absoluten Darts-Nerds ein Begriff, startete 2022 voll durch, sicherte sich zunächst über die Q-School eine Tourcard und gewann im April völlig überraschend seinen ersten PDC-Titel bei den Players Championships in Barnsley. Auf seinem Weg ins Finale, das er übrigens gegen den heute ebenfalls im Alexandra Palace aktiven Andrew Gilding gewann, bezwang er internationale Größen wie Krzysztof Ratajski, Chris Dobey und Dave Chisnall. "The Mullet", der aufgrund seiner 80er-Jahre-Frisur bereits jetzt ein Publikumsliebling ist, konnte sich auch durch diesen Erfolg über die Liste der Pro Tour für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Obwohl er auf keinerlei WM-Erfahrung zurückgreifen kann, gilt er bei seinem ersten Auftritt als klarer Favorit auf das Weiterkommen.
Auch sein heutiger Gegner Paolo Nebrida ist das erste Mal bei einer PDC-Weltmeisterschaft dabei. Der Mann von den Phillipinen, die zum ersten Mal drei Starter bei einem Weltturnier stellen und sich langsam aber sicher zur führenden Darts-Nation in Asien entwickeln, kommt mit der Empfehlung einer Halbfinalteilnahme bei den PDC Asian Championships nach London. Nebrida, der aus Subic im Nordwesten des Inselstaates stammt, geht als klarer Außenseiter in die Partie, doch bereits eine Qualifikation für die zweite Runde wäre das geteilte beste Ergebnis eines philippinischen Spielers jemals. Das Ziel ist also klar gesteckt für den Mann, dessen einzige internationale Erfahrung bisher die Teilnahme an der Jugend-Weltmeisterschaft 2018 war.
Niels Zonneveld v. Lewy Williams
Zum zweiten Mal nach 2021 nimmt der Niederländer Niels Zonneveld in diesem Jahr an der Weltmeisterschaft teil. Sein erster Auftritt endete mit einem 0:3 gegen den abgezockten William O'Connor abrupt, diesmal will er es besser machen. Anlass zur Hoffnung gibt es in jedem Fall, denn Zonnefeld hat eine gute Pro Tour-Saison hinter sich: Bei den Players Championships erreichte der 24-jährige Linkshänder zum zweiten Mal ein Viertelfinale, bei den UK Open ging es immerhin bis ins Sechzehntelfinale. Zonnefeld hat den Anspruch, dank seiner guten Verfassung in die zweite Runde einzuziehen. Dort würde auf den Niederländer ein ganz dicker Fisch warten, nämlich sein Landsmann und dreimaliger Weltmeister Michael van Gerwen.
Seitdem William im September offiziell seinen Vater Charles als "Prince of Wales" beerbte, ist die Namensregelung in der britischen Monarchie klar. Im Darts ist die Lage etwas umstrittener: Über Jahrzehnte führte der Routinier Richie Burnett den Spitznamen und die Masters of Ceremonies dieser Welt wussten genau, wer gemeint ist. Nun gibt es Aufruhr in der Szene: Der 20-jährige Newcomer Lewy Williams überzeugt nicht nur als nächster Waliser mit sehr vielversprechenden Leistungen, sondern beansprucht auch noch den traditionsreichen Titel für sich. Revolution in Walisien? Ganz so schlimm ist es nicht. Der erfahrene Burnett hat dem jungen Williams den Titel 'übergeben', war er doch lange Zeit selbst nicht mehr auf der Tour unterwegs. In diesem Jahr nehmen allerdings beide, und damit zum ersten Mal zwei "Prince of Wales" an der Weltmeisterschaft teil. Mal sehen, für wen sich Presenter John McDonald beim Einlauf entscheidet - vielleicht gibt es ja im Gegensatz zum Königshof bald auch einen "King of Wales". Sportlich ist Williams eine der Nachwuchshoffnungen auf der Tour. Ein Achtelfinale auf der European Tour ließ aufhorchen, bei der Weltmeisterschaft geht er als Youngster aber noch ohne große Erwartungen an den Start.
José de Sousa v. Simon Whitlock
Als Nummer 17 der Order of Merit kommt José de Sousa mit einem gewissen Erwartungsdruck zur Weltmeisterschaft. Genau zehn Jahre ist es her, dass er sich zum ersten Mal für das Jahresendturnier qualifizieren konnte, inzwischen stehen insgesamt fünf Weltmeisterschaften und ein Major-Titel in seiner Karriere zu Buche. Die Erfahrung spricht also für den Portugiesen, nicht aber die Form. Im Jahr 2022 konnte er lediglich ganz zu Beginn das Halbfinale im Masters erreichen, danach gab es stets das Aus schon in den ersten Runden. Auch die WM-Geschichte zeigt "The Special One" im Gegensatz zu seinem berühmten Namensvorbild nicht unbedingt als Titelsammler, bisher kam er nie weiter als in Runde drei. Genau dort war im letzten Jahr auch Schluss, als er am Schotten Alan Soutar scheiterte. In diesem Jahr soll alles besser werden, doch die Auslosung beschert ihm bereits in der ersten Runde kein einfaches Los.
Wenn José de Sousa Routine zu bieten hat, wie nennen wir das dann bei Simon Whitlock? Der 53-jährige Australier spielt seit Mitte der 1980er-Jahre Dart, ist unumstrittener Pionier der Sportart in seinem Heimatland. Whitlock steht in diesem Jahr vor seiner fünfzehnten WM-Teilnahme, seit 2010 war er sogar in jedem Jahr dabei. Große Titel wie die PDC European Championship oder ganze zwölf Mal die Players Championships hat er auch gewonnen, die meisten Erfolge liegen aber ehrlicherweise schon ein bisschen zurück. Ein Ausrufungszeichen konnte er im aktuellen Jahr aber trotzdem setzen, als er im Team seiner Nation den PDC World Cup gewinnen konnte.
Abend-Session
Geert Nentjes v. Leonard Gates
24 Jahre ist der Niederländer Geert Nentjes erst alt, trotzdem ist die Ausgabe 2023 bereits die dritte Weltmeisterschaft, an der er teilnimmt. Bei den bisherigen zwei Auftritten ging es jeweils nach der ersten Runde wieder nach Hause, zuletzt 2020 mit 0:3 gegen Nathan Aspinall. In diesem Jahr kam er immerhin bei den UK Open in die Runde der letzten 32 und erreichte ein Achtelfinale auf der Pro Tour, ganz große Erfolge haben sich beim Mann aus Urk in der Nähe von Zwolle bisher aber nicht eingestellt. Beim Eröffnungsspiel der heutigen Abend-Session steht "De Zoet" (dt.: "Der Süße") eine Aufgabe auf Augenhöhe bevor.
Sein Gegner Leonard Gates ist in dessen Heimatland USA schon lange eine große Nummer im Dartssport. So gut wie alle größeren Turniere auf amerikanischem Boden hat Gates bereits gewonnen, nur der Sprung nach Europa wollte für den 52-Jährigen bisher nie so recht gelingen. In diesem Jahr kam er immerhin ins Achtelfinale der World Series of Darts Finals, dazu war er in der Hauptrunde des Grand Slam of Darts dabei. Unterschätzen darf man "Soldier Gates" defintiv nicht, denn auch wenn er das ganz hohe internationale Niveau nicht jede Woche spielt, ist er es gewohnt zu gewinnen. Wir erwarten ein enges Spiel gegen Geert Nentjes.
Ritchie Edhouse v. David Cameron
Noch nie hat Ritchie Edhouse ein Erstrundenspiel im Alexandra Palace verloren. Gut, teilgenommen hat er auch erst zweimal, aber immerhin. Bei seinen Auftritten im Jahr 2020 und 2022 gab es Siege gegen den Russen Boris Koltsov und den Engländer Peter Hudson. Auch wenn in der zweiten Runde stets Endstation war, ist das Überstehen der Auftaktpartie für den 39-jährigen Engländer durchaus als Erfolg zu werden. Für größeres Aufsehen sorgte er kürzlich, als er bei der WM-Generalprobe (den Players Championship Finals) den "Bullyboy" Michael Smith ausschaltete. Kann er an diese Leistung anknüpfen, sollte der Erhalt der weißen Erstrunden-Weste im Bereich des Möglichen liegen.
Beim dritten Anlauf im Alexandra Palace wartet in diesem Jahr der Kanadier David Cameron. Der 53-Jährige ist einer der besten Spieler Nordamerikas und hat in den 2010er-Jahren unzählige Events in den Vereinigten Staaten und in seinem Heimatland gewonnen. Nach einigen Erfolgen bei der BDO und der WDF spielt er seit einigen Jahren bei der PDC, dort vor allem bei den US Darts Masters, wo er dreimal das Hauptfeld erreichte. Zuletzt scheiterte er in diesem Jahr an Gerwyn Price. Bei seinem Debüt im Alexandra Palace ist "Excalibur", der auf der idyllischen Halbinsel Nova Scotia lebt, der Underdog im Duell mit Ritchie Edhouse, aber sicher nicht chancenlos.
Steve Beaton v. Danny van Trijp
Wenn die Weltmeisterschaft für den besten Spitznamen vergeben würde, läge Steve Beaton mit Sicherheit ganz weit vorne. Der 58-jährige Engländer, braun gebrannt und auch im gehobenen Dart-Alter noch einer der fittesten Spieler auf der Tour, wird "The Bronzed Adonis" gerufen. Den Status des Publikumslieblings im Alexandra Palace hat er aber längst nicht nur aufgrund seines Äußeren. Beaton ist einer der erfahrensten Spieler im PDC-Zirkus, der seine erste Weltmeisterschaft (damals noch bei der BDO) vor 30 Jahren gespielt hat. 2009 erreichte er seinen größten Erfolg bei der PDC, als er im Rahmen der European Championships ins Finale vorstieß. Der gelernte Fahrlehrer, der auch weiterhin seine eigene Fahrschule leitet, erlebte im vergangenen Jahr ein mitreißendes Erstrundenmatch, in dem er Fallon Sherrock knapp mit 3:2 besiegte. In der zweiten zweiten Runde unterlag er zwar Kim Huybrechts, trotzdem hinterließ er einen starken Eindruck. Diesen will er in diesem Jahr bei seiner rekordverdächtigen 32. WM-Teilnahme bestätigen.
Bei seiner ersten Teilnahme im Alexandra Palace kann sich der Niederländer Danny van Trijp ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk machen. Am Heiligabend feiert er seinen 26. Ehrentag, am Abend des 23.12., also nur wenige Stunden vorher, stünde das Zweitrundenmatch gegen Jonny Clayton an. Um dort hinzukommen, braucht es für die Nummer 127 der Welt eine Überraschung gegen den Routinier Steve Beaton. Der Niederländer aus Etten-Leur bei Breda hat sich kürzlich eine Tourkarte erspielt und will bei dieser Weltmeisterschaft seine erste Visitenkarte vor der großen Öffentlichkeit abgeben.
Gerwyn Price v. Luke Woodhouse
Über die bewegte Vergangenheit von Gerwyn Price ist in den letzten Jahren nach seinem kometenhaften Aufstieg viel erzählt worden. 2010 bei einer Kneipenschlägerei schwer verletzt, bis 2014 keinen Gedanken an Darts verschwendet und stattdessen eine Profi-Rugbykarriere verfolgt, doch dann änderte sich alles. Heute steht er als fünffacher Major-Sieger und Weltmeister von 2021 in der Darts-Welt ganz oben. Dementsprechend geht der Waliser als einer der absoluten Favoriten ins Turnier. Eine Erwartungshaltung, mit der der "Iceman" gut auszukommen scheint. Im Verlauf des Jahres 2022 eroberte Price die Führung in der Weltrangliste zurück, jetzt will er auch im Alexandra Palace wieder eine Trophäe holen.
In der zweiten Runde bekommt es Price mit Luke Woodhouse zu tun. "Woody" setzte sich in der ersten Runde gegen den ukrainischen Underdog Vladyslav Omelchenko durch und steht nun vor einer deutlich schwierigeren Aufgabe. Der 34-Jährige hofft, mit einem Knalleffekt endlich den Durchbruch auf der Tour zu schaffen. Realistisch gesehen ist es aber eher unwahrscheinlich, dass er dem favorisierten Waliser hier ein Bein stellen kann.