Darts-WM Vorschau Tag 13: Clemens will ins Viertelfinale - Schafft Smith den großen Wurf?
Nachmittags-Session
Kim Huybrechts v. Dimitri van der Bergh
Die Überraschung der dritten Runde schaffte Kim Huybrechts, der in einem seltsam emotionslosen Spiel am Dienstagabend den Titelverteidiger Peter Wright mit 4:1 ausschalten konnte. Huybrechts schaffte es von Beginn an, die traditionell dem Schotten wohlgesonnenen Fans in London nicht in Stimmung kommen zu lassen. Fairerweise muss man sagen, dass der größte Gegner von Peter Wright an diesem Abend Peter Wright war, doch Huybrechts konnte die Patzer des Favoriten nutzen und sich am Ende völlig verdient das Weiterkommen sichern. "Hurricane" steht im Moment auf Platz 31 der Weltrangliste, womit er sich als vorletzter Spieler über die Order of Merit für diese Weltmeisterschaft qualifizierte. Nach Verletzungen, Sponsoren- und Ausrüsterwechseln ist Huybrechts dabei, zur positiven Überraschung des Turniers zu werden.
Im belgischen Duell geht es nun gegen Dimitri van den Bergh, der sich seinerseits gegen den Polen Krzysztof Ratajski durchsetzen konnte. Nach einem kleinen Tief bis Mitte des Jahres 2022 hat sich der Belgier wieder gefangen und ist in guter Form nach London gekommen. In Runde zwei siegte er mit 3:0 gegen Lourence Ilagan von den Phillipinen, am Dienstagabend dann ebenso ungefährdet mit 4:1 gegen Krzysztof Ratajski. Vor allem in den entscheidenden Situationen bestach "The Dreammaker" mit Nervenstärke: Seine Checkout-Quote von über 50% entnervte den polnischen Gegner und gab dem Belgier am Ende den entscheidenden Vorteil, obwohl er mit einem Average im niedrigen 90er-Bereich nicht außergewöhnlich gut spielte. Gegen Kim Huybrechts erwarten wir ein offenes Duell, in dem zwei Spieler in guter Form aufeinandertreffen.
Gabriel Clemens v. Alan Soutar
Im vielleicht besten Spiel der bisherigen Weltmeisterschaft rang Gabriel Clemens den Waliser Jim Williams nieder und steht zum zweiten Mal in einem Achtelfinale im Alexandra Palace. Danach sah es lange Zeit nicht aus: Williams spielte ohne Übertreibung das Match seines Lebens und legte mit einem 98er-Average eine Weltklasseleistung auf die Bühne. Herausragend war aber vor allem seine Leistung auf die Doppelfelder, bei denen er zwei Drittel der Versuche traf. Zum Vergleich: Die bisherige Durchschnittsquote bei dieser Weltmeisterschaft liegt bei 36 Prozent der Würfe auf die Doppel. Doch Gabriel Clemens kämpfte: Der Saarländer blieb bei 2:3-Satzrückstand ruhig, spielte sein Spiel und versuchte irgendwie, den Gegner aus Wales von den Doppelfeldern fernzuhalten. Einen Matchdart in Satz 6 musste er überstehen, danach brachte er sein Anwurfset nach Hause. Mit der eigenen Euphorie und vielen deutschen Fans im Alexandra Palace im Rücken will der 39-Jährige direkt ins Viertelfinale durchmarschieren.
Erst zum zweiten Mal steht der Schotte Alan Soutar im Hauptfeld der PDC-WM. Lange Zeit hat er bei den konkurrierenden Verbänden BDO und WDF verbracht, im letzten Jahr legte er mit dem direkten Einzug ins Achtelfinale einen vielbeachteten Start hin. Nach dem Sieg gegen Diogo Portela in der ersten Runde schaltete "Soots" in den Runden zwei und drei mit Mensur Suljovic und José de Sousa deutlich höher gesetzte Spieler aus. Auch bei dieser Austragung weiß der Schotte durchaus zu überzeugen: Nach dem erwartbaren Sieg gegen den australischen Underdog Mal Cuming in Runde eins konnte Soutar nur einen Tag später den favorisierten Daryl Gurney glatt mit 3:0 nach Hause schicken. Trotzdem kam es sehr überraschend, dass es am Mittwochnachmittag auch gegen den High Flyer Danny Noppert nach 0:2-Satzrückstand einen Sieg gab. Mit Gabriel Clemens sieht sich die Nummer 36 der Welt nun einem Gegner gegenüber, der aus seiner Sicht durchaus schlagbar erscheint. Wir erwarten ein Duell auf Augenhöhe mit guten Chancen für "Gaga".
Michael Smith v. Joe Cullen
Denkbar knapp setzte sich der Vorjahresfinalist Michael Smith in der dritten Runde gegen den Deutschen Martin Schindler durch, lange Zeit musste die Nummer vier der Welt sogar einem 1:3-Satzrückstand hinterherlaufen. Schindler wuchs über sich hinaus und spielte mit einem Average von fast 95 Punkten pro Aufnahmen weit über seinem Schnitt, trotzdem muss auch der "Bullyboy" hart mit seiner eigenen Leistungs ins Gericht gehen. Ein Average von 95,36 und vor allem 25 vorworfene Pfeile auf die Doppelfelder sind nicht der Anspruch des Grand Slam of Darts-Gewinners. Nach dem Spiel äußerte sich der 32-Jährige und sagte, er sei "stolz" auf sein Comeback. Das kann er auch sein, trotzdem wird er sein Spiel verbessern müssen, um nach 2016, 2019 und 2022 zum vierten Mal ins Viertelfinale einer Weltmeisterschaft einzuziehen.
Sein Gegner auf diesem Weg ist dabei einer seiner besten Freunde im Darts-Zirkus: Joe Cullen. Für die Nummer 16 der Order of Merit wäre es im Vergleich zu Smith eine persönliche Bestleistung, zum ersten Mal in seiner Karriere das WM-Viertelfinale zu erreichen. Ganz souverän nahm er auf dem Weg die Hürde Damon Heta, den er in der dritten Runde mit 4:0 nach Hause schickte. Spielerisch ist sicher noch Luft nach oben beim "Rockstar", und dieses Potenzial wird er gegen Michael Smith auch ausschöpfen müssen. Was die Zuschauer im "Ally Pally" am Freitagnachmittag erwarten könnte, ist gut am letzten Aufeinandertreffen der beiden Spieler abzulesen: Mitte November trafen sie sich beim Grand Slam of Darts zuletzt, dort verlor Cullen nach 15:13-Führung im Leg-Modus noch mit 15:16 gegen den "Bullyboy". Ein ähnlich spektakuläres Spiel dürfte den Alexandra Palace zum Brodeln bringen. Ausgang: offen.
Abend-Session
Rob Cross v. Chris Dobey
Ein Ex-Weltmeister in starker Form ist automatisch einer der Turnierfavoriten: Rob Cross erarbeitete sich über die Saison eine starke Verfassung, vorläufig gekrönt mit dem Gewinn der Players Championship Finals im November. Das Selbstvertrauen konnte der 32-Jährige bisher auch auf die WM-Bühne transportieren: Als einer der letzten Spieler des Turniers griff "Voltage" einen Tag vor Heiligabend ins Geschehen ein und besiegte Scott Williams mit 3:1. Ähnlich souverän lief auch das Drittrundenmatch mit dem erfahrenen Mervyn King, dem er mit 4:1 keine Chance ließ. Nach einigen Jahren der sportlichen Dürre nach dem WM-Titel 2018 will die Nummer sechs der Welt nun wieder den ganz großen Erfolg angreifen.
Für ein echtes Ausrufungszeichen sorgte Chris Dobey in der dritten Runde, indem er den ehemaligen Titelträger Gary Anderson aus dem Turnier warf. Auch wenn sich der Schotte nicht in Bestform befindet, gehört er trotzdem in jedem Jahr zu den Favoriten auf die "Sid Waddell Trophy". Am Mittwochnachmittag hatte er aber keine Chance gegen Dobey, der nach verlorenem ersten Satz zu Hochform auflief und Anderson mit 4:1 zurück in die schottische Heimat schickte. Nun ist der 32-Jährige an einem Punkt angelangt, an dem er schon dreimal war: dem WM-Achtelfinale. In diesem Jahr will er endlich in die Runde der letzten Vier und damit beweisen, dass er Teil der absoluten Weltspitze ist. Gegen Anderson konnte er mit mehreren High Finishes sowie fast 50 Aufnahmen über 100 Punkten solide Zahlen auflegen, im Achtelfinale wird es allerdings noch ein bisschen mehr brauchen, um sich durchzusetzen.
Michael van Gerwen v. Dirk van Duijvenbode
Mehr Probleme als erwartet hatte der Niederländer Michael van Gerwen in der dritten Runde. Gegen den routinierten Österreicher Mensur Suljovic tat sich "Mighty Mike" lange schwer, kam bis zum fünften Satz nicht richtig in Tritt und ließ sich immer wieder vom langsamen Rhythmus und den überragenden Checkouts von Suljovic (65%) aus dem Konzept bringen. Doch was "MvG" ausmacht, ist, dass er schlagartig umschalten kann in ein Spiel, das auf der PDC-Tour seinesgleichen sucht. Trotz schwerfälligen Beginns kam er am Ende auf einen überragenden Avergae von fast 108 Punkten pro Aufnahme, dazu zwölf 180er. Der 33-Jährige, der die Führung in der Weltrangliste in diesem Jahr an Gerwyn Price abgeben musste, ist wild entschlossen, sich nach zwei schwächeren Weltturnieren in diesem Jahr mit einem großen Knall auf der Bühne des Alexandra Palace zurückzumelden.
Zunächst steht aber ein niederländisches Duell mit Achtelfinal-Gegner Dirk van Duijvenbode an. Bei dem wiederum ist es höchst fraglich, ob er nach dem nervenaufreibenden Spiel gegen Ross Smith am Donnerstagmittag überhaupt vernünftig regenerieren konnte, um gleich für das nächste Top-Spiel gegen Van Gerwen fit zu sein. In einem komplett ausgeglichenen Duell bekämpfte sich der 30-Jährige mit Smith bis aufs sprichwörtliche Blut, erst im elften Leg des siebten Entscheidungssatzes fiel die Entscheidung zugunsten von "The Titan". Mit einem Average von fast 94 Punkten spielte Van Duijvenbode gut, aber war in dieser Kategorie selbst Ross Smith (97) klar unterlegen. Den Ausschlag gab am Ende die zehn Prozentpunkte bessere Quote auf die Doppelfelder, durch die der Niederländer zum zweiten Mal in seiner Karriere nach 2021 das Viertelfinale im Alexandra Palace erreichen konnte. In dieses Duell am Freitagabend geht er als klarer Außenseiter.
Luke Humphries v. Stephen Bunting
Mit 97,5 Punkten pro Aufnahme hat Luke Humphries 2022 seinen besten Jahresdurchschnitt aller Zeiten gespielt. Diese Messlatte konnte er in der zweiten Runde gegen den Deutschen Florian Hempel nicht bestätigen, trotz eines 90er-Averages reichte es aber zum Einzug in Runde drei. Dort sah er sich am Donnerstagabend dem erfahrenen Niederländer Vincent van der Voort gegenüber, den er in einem verteilten Spiel ebenfalls besiegen konnte. Humphries ist zu einem der weltbesten Spieler gereift, ist in diesem Kalenderjahr in mehrere Major-Halbfinals gekommen und stand bereits mehrfach im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Mit gerade einmal 27 Jahren ist er drauf und dran, die absolute Weltspitze zu erreichen. Um nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen, darf es in diesem Jahr sogar etwas mehr als die Runde der letzten Acht sein.
Stephen Bunting ist eine der positiven Überraschungen der bisherigen Weltmeisterschaft. Auch wenn er mit seinen 37 Jahren kein Unbekannter auf der Tour ist, blieben in der Karriere des Engländers die ganz großen Erfolge bisher doch aus. Auch 2022 war nicht unbedingt das Jahr von "The Bullet", bei den Majors gab es nicht viel von ihm zu sehen. Hoffnung gibt die WM-Erfahrung des Stephen Bunting: 2021 schaffte er es bis ins Halbfinale und scheiterte dort erst an Gerwyn Price. Bei der aktuellen Ausspielung räumte der Andrew Gilding und - durchaus überraschend - Dave Chisnall aus dem Weg. Im gestrigen Drittrundenspiel boten beide Spieler eine Partie auf hohem Niveau, Averages über 100 Punkte pro Aufnahme sprechen eine deutliche Sprache. Doch Bunting bestach vor allem mit einem: Effizienz. Fast 58 Prozent der Würfe auf das Doppelfeld fanden ihr Ziel, damit brachte er den favorisierten Chisnall am Ende zu fall. Im Viertelfinale erwarten wir nun ein offenes Duell.