Chancenlos beim Comeback: Tyson bleibt stehen, die Ohren bleiben heil
Und dann biss Mike Tyson zu. Herzhaft, heftig und immer wieder. Anders als in alten Tagen kaute der einst berüchtigtste Schläger des Schwergewichts aber nicht auf dem Ohr seines Gegners herum. Nein, beim Box-Comeback nach fast zwei Jahrzehnten nagte Tyson während der Runden regelmäßig an seinem Handschuh. Wie einst gegen Holyfield dürfte wohl Frust der Knabber-Auslöser gewesen sein - bei der klaren Punktniederlage gegen Jake Paul war der einst eiserne Mike ergreifend chancenlos.
"Ich habe halt einen Beiß-Zwang", sagte der 58 Jahre alte Ex-Weltmeister über seine neueste Macke. Weil Tysons bewegtes Leben ohnehin eine Aneinanderreihung von Verhaltensauffälligkeiten ist, hatte die Aussicht auf ein entsprechendes Spektakel 80.000 Zuschauer in die Riesen-Arena zu Dallas gelockt. Für Ticketpreise zwischen 44 und mehreren Hunderttausend Dollar sahen sie einen Kampf von zweifelhafter Qualität zwischen einem gealterten Ex-Champion und einen zum Fighter umgeschulten Youtuber - "Promiboxen" deluxe.
"Ich bin happy", sagte Tyson, der im vom Streaming-Giganten Netflix zum Megaduell hochgejazzten Fight reichlich Schläge, wie sein Gegner dafür aber kolportierte 40 Millionen Dollar kassierte: "Ich musste niemandem etwas beweisen außer mir selbst." Was Zuchttauben-Liebhaber Tyson bewies, war eine bemerkenswerte körperliche Fitness, die ihm erlaubte, acht Runde a zwei Minuten gegen den 31 Jahre jüngeren Rivalen zu überstehen.
Mehr aber auch nicht: Tyson, der in seinen besten Jahren Ende der Achtziger seine Gegner wie eine Naturgewalt bestürmt, sie heftigst verdroschen statt ausgeboxt hatte, war viel zu langsam und behäbig, um den soliden Paul zu gefährden.
Comeback mit Fortsetzung?
Der gelernte "Influencer" - blonde Wuschelfrisur, wilder Bart, großflächig tätowiert - hatte zuvor zehn seiner elf Kämpfe - allesamt eher mit Showcharakter - gewonnen, seine einzige Niederlage gegen Tommy Fury, den durchschnittlich begabten kleinen Bruder des großen Tyson Fury, kassiert. Pauls Klasse: überschaubar.
Gegen Mike Tyson landete er dennoch immer wieder harte Treffer. 78 von 278 Schlägen, so die Statistik, brachte Paul ins Ziel. Tyson, der zuletzt 2005 bei seiner Niederlage gegen Kevin McBride geboxt hatte, schlug nur 97-mal zu, traf mickrige 18-mal. Das Urteil der drei Punktrichter war eindeutig - einmal 80:72 und zweimal 79:73, klarer geht es kaum.
"Es war eine große Ehre, gegen eine solche Legende zu boxen. Mike ist einer der Größten aller Zeiten und einer der härtesten Typen auf dem Planeten", sagte Paul, der beim letzten Aufeinandertreffen vor dem Kampf am Vortag nach einem kleinen Scharmützel noch eine Ohrfeige von "Iron Mike" kassiert hatte. "Das war gestern ein gute Klatsche, das hat mir gefallen", sagte Paul nach dem Kampf.
Ob Tyson nun in den Ruhestand zurückkehre? Er habe noch einiges in sich, sagte er: "Ich glaube nicht, dass es mein letzter Kampf war." Jake Pauls Bruder Logan, ebenfalls boxender Youtuber, stünde wohl als Gegner bereit. "Oh fuck, i'll kill you", tönte der ältere Paul sogleich im Ring.
Zumindest den Netflix-Autoren dürfte die Aussicht auf eine zweite Tyson-Paul-Staffel sehr gefallen.