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Das Schweizer Taschenmesser: Formel-1-Fahrer Nico Hülkenberg im Portrait

Claas Schönfeld
Aktualisiert
Hat eine bewegte Karriere hinter sich: Nico Hülkenberg im Porträt.
Hat eine bewegte Karriere hinter sich: Nico Hülkenberg im Porträt.Profimedia
Ein Schweizer Taschenmesser ist ein Mehrzweckwerkzeug mit einer großen Auswahl an Klingen, Schraubendrehern, Scheren, Feilen und anderen Geräten. All diese Zubehörteile werden in einer ausgeklügelten Reihe von federbelasteten Fächern aufbewahrt, die sich einen einzigen Griff teilen. Falls ihr nun Zweifel daran hegt, dass es hier um die Formel 1 geht, könnt ihr beruhigt sein. Ja, es geht um Motorsport, genauer gesagt um einen Mann, den man als das "Schweizer Taschenmesser der Formel 1" bezeichnen kann. Nico Hülkenberg funktioniert immer und überall, egal, wie unterschiedlich die Aufgaben sind. In diesem Porträt beleuchten wir seine Karriere.

Die Schweizer Grenze und das Städtchen Emmerich am Rhein, wo Hülkenberg 1987 geboren wird, trennen knappe sechs Stunden Autofahrt. Vorausgesetzt, man ist mit "normalen" Autos unterwegs.

Nicolas – kurz Nico – zeigt früh, dass er an solch langsamen Geschwindigkeiten keinerlei Interesse hat. Als Neunjähriger startet er seine Laufbahn im Kartsport. "Eines Sonntags sind wir nicht weit entfernt von uns auf eine Kartbahn gefahren. Danach war ich total begeistert", erinnert sich Hülkenberg. Im Jahr 2002, im Alter von 15 Jahren, sichert er sich die deutsche Juniorenmeisterschaft mit beeindruckenden zehn Siegen. Nur, um ein Jahr später bei der deutschen Kartmeisterschaft erneut zu triumphieren. 

Williams erkennt Hülkenbergs Talent

Im Anschluss wechselt der Teenager in den Formel-Sport. Auch dort dominiert Hülkenberg. 2005 startet er bei der Formel BMW und wird prompt Meister. Zwei Jahre später gewinnt er mit dem deutschen A1GP-Team den WM-Titel in der Nationenserie. Nach weiteren Siegen in der Formel-3-Euroserie bietet ihm schließlich Williams einen Vertrag als Testfahrer an.

Hülkenberg lebt in der Folge seinen Traum und zieht nach England. In Oxford arbeitet er zusätzlich als Praktikant in der Williams-Fabrik und beeindruckt dort Motorsport-Ikone Frank Williams: "Nico hat mich nach Ende seines Praktikums gebeten, eine Rede vor allen Angestellten halten zu dürfen. Damit hat er sich sehr viel Respekt verschafft. Ich hatte noch nie einen Fahrer, der sich so sehr engagiert hat wie er."

Bei Williams darf Hülkenberg erstmals ins F1-Cockpit.
Bei Williams darf Hülkenberg erstmals ins F1-Cockpit.Profimedia

Dieses Engagement gemischt mit seinem Talent zeigt Hülkenberg auch weiterhin auf der Strecke. In der GP2-Saison 2009 tritt er für das ART-Grand-Prix Team an, wo er ein starkes Duo mit dem Pastor Maldonado bildet. In diesem Jahr gelingt dem Emmericher der endgültige Durchbruch. Durch beeindruckende Siege in Budapest, Valencia und Portimão sichert er sich den Titel.

Nico Hülkenberg ist zu diesem Zeitpunkt einer der vielversprechendsten Fahrer in der Motorsportwelt. "Er wird bei uns ein großer Star", so Frank Williams. Der Weg in die Königsklasse ist geebnet: Zur Saison 2010 erhält "Hülki“ ein Stammcockpit bei Williams, wo er Teamkollege von Ex-Vizeweltmeister Rubens Barrichello wird.

Sternstunde in Sao Paulo

Der Wechsel in die Formel 1 verläuft reibungslos. Wir erinnern uns: Schweizer Taschenmesser. Bereits bei seinem dritten Grand Prix in Malaysia holt Hülkenberg als Zehnter den ersten Weltmeisterschaftszähler. Ein weiterer starker Auftritt folgt beim Großen Preis von Ungarn, als er eine glänzende Leistung zeigt und als Sechster über die Ziellinie fährt.

Der Höhepunkt folgt aber in Brasilien. An diesem grauen Novembertag in Sao Paulo ergießen sich Sturzbäche auf den Autódromo José Carlos Pace, doch dann trocknet die Strecke schnell ab. Der Williams-Pilot kommt trotz schwächerem Auto am besten mit den Bedingungen zurecht und schnappt sich tatsächlich die Pole. "Ich wusste, dass wir schnell sind, aber das habe ich nicht erwartet", sagt der damals 23-Jährige. Für einen finalen Podiumsplatz ist der Williams allerdings zu schwach. Am Ende belegt Hülkenberg Platz acht.

Die Fahrer-WM beendet er auf Platz 14. Ein ordentliches, aber für den extrem ambitionierten Hülkenberg unbefriedigendes Ergebnis. Er will mehr und trifft eine Entscheidung: Nach drei Jahren geht die Zeit bei Williams zu Ende, es folgt der Wechsel zum aufstrebenden Force-India-Team.

Auf den ersten Blick ist der Wechsel allerdings mehr Ab- als Aufstieg, denn Hülkenberg wird nur als Ersatzfahrer verpflichtet. Die Stammcockpits sind an Paul di Resta und Landsmann Adrian Sutil vergeben. Ein Schritt zurück, um zwei nach vorne zu kommen, so die Idee. Der Plan geht auf: Zur Saison 2012 kehrt er ins Cockpit zurück und erreicht bisher unbekannte Höhen.

Nico Hülkenberg - Der Regentänzer

Beim Großen Preis von Europa erreicht Hülkenberg mit dem fünften Platz seine bisher beste Platzierung in der Formel 1. Diese Leistung übertrifft er beim Großen Preis von Belgien sogar noch einmal und belegt den vierten Platz. Im letzten Saisonrennen ist der 25-Jährige dann sogar auf Siegkurs. In Brasilien führt er bei zeitweisem Regen für einige Runden das Rennen an, bevor eine Kollision mit Lewis Hamilton alle Träume beendet.

Trotzdem ist es ein großartiges Jahr für Hülkenberg, den vor allem seine Qualitäten bei Regen auszeichnen: "Ich habe nicht erwartet, dass es jemanden gibt, der auf dem gleichen Niveau im Regen fahren kann wie Schumacher früher. Nico kann es", sagt sein damaliger Manager Willi Weber, der auch Schumacher betreute. Der Emmericher begründet seine Fähigkeiten so: "Mein Gefühl wurde dadurch geschult, dass ich Bambini-Kartrennen in Holland gefahren bin. Dort gab es aber keine Regenreifen. Wenn es geregnet hat, mussten wir immer alle mit Slicks fahren, was viel rutschiger ist."

Beflügelt von den eigenen Leistungen will Hülkenberg erneut den nächsten Schritt machen und geht zu Sauber. "2012 hatte Sauber eine ziemliche Rakete. Das Auto war sehr schnell", begründet er den Wechsel. Eine Fehlkalkulation, wie sich später herausstellt: Der Deutsche schlägt zwar seinen Teamkollegen Esteban Gutiérrez, beendet die Rennen aber nur selten in den Top 10. "Es war wahrscheinlich nicht der beste Schritt, Force India zu verlassen", so Hülkenberg. Die Klinge des Taschenmessers erscheint erstmals etwas stumpf.

24 Stunden für die Ewigkeit

Allerdings nur für kurze Zeit: Hülkenberg korrigiert seinen Fehler postwendend und wechselt 2014 zurück zu Force India, wo er mit Sergio Perez auf einen starken Teamkollegen trifft. Doch der Emmericher behauptet sich, mal wieder. Er schlägt Perez im Teamduell und beendet die Fahrer-WM auf Platz neun.

Erstmals ist er am Saisonende unter den zehn besten Fahrern: "Unser Wagen ist okay und reicht für das Mittelfeld (…). Dass wir großartig etwas reißen würden, daran habe ich zunächst nie gedacht", erklärt der Deutsche. Auch die Jahre 2015 und 2016 verlaufen mit den Plätzen zehn und erneut neun zufriedenstellend. "Ich bin sehr glücklich, wie es gelaufen ist", sagt Hülkenberg über die zweite Force-India-Periode. 

Aber solide zu sein reicht dem ehemaligen Toptalent nicht aus. Trotz der guten Umstände gibt sich Hülkenberg nicht mit seinem F1-Cockpit zufrieden. Er will Rennen gewinnen, auf dem Podest ganz oben stehen, sich das holen, was ihm als Teenager versprochen wurde. In der Königsklasse wird das mit einem Mittelklassewagen schwierig, daher entscheidet er sich neben der Formel 1 auch in der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft anzutreten.

Der Deutsche wird Teil des Porsche-Teams und nimmt an zwei Rennen teil. Den großen Triumph gibt es schließlich beim prestigeträchtigen 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Dort zeigt er seine Vielseitigkeit als Fahrer und gewinnt tatsächlich. "Heute habe ich etwas Großes erreicht, den größten Sieg meiner Karriere", sagt Hülkenberg damals. Das Taschenmesser hat endlich einen Pokal geschnitzt.

Das Taschenmesser wird zur B-Ware

Zurück in der Formel 1 will Hülkenberg – aus dem mittlerweile "Hulk" geworden ist - noch einmal oben angreifen und entscheidet sich deshalb für einen Wechsel zu Renault. Er will es endlich aufs Podium schaffen, ein Erfolg, der ihm in sechs Jahren Formel 1 bisher verwehrt wurde. Dieser Fakt bringt ihm sogar den unrühmlichen Rekord als Fahrer mit den meisten Rennen ohne Top-3-Platzierung ein.

Dann kommt der 17. September in Singapur: Der Tag, an dem der Fluch endlich besiegt wird - so scheint es zumindest. Chaos beim Start spült Hülkenberg auf Rang drei. Pech mit dem Safety-Car wirft ihn zwar auf Position vier zurück, aber eine erneute gelbe Flagge sorgt für DIE Möglichkeit, den Drittplatzierten Bottas zu attackieren.

Aber aus dem Traum wird ein Albtraum: Ein Ölleck zwingt ihn zur Aufgabe. "Das war ein enttäuschendes Rennen. Man investiert so viel und dann passieren solche Sachen", hadert ein frustrierter Hülkenberg. Davon erholt er sich in seiner Renault-Zeit nie ganz und verlässt das Team schließlich 2019, da sein Vertrag nicht verlängert wird.

Bei Renault läuft es für Hülkenberg nicht wirklich gut.
Bei Renault läuft es für Hülkenberg nicht wirklich gut.Profimedia

Erstmals seit neun Jahren ist Hülkenberg ohne F1-Cockpit. Die Zukunft ist ungewiss. Auf die Frage, welche Wege ihm künftig noch offenständen, spottet er: "Pizzabäcker." In den Jahren 2020 bis 2022 kommt er durch Corona-Infektionen von Stammpiloten zu Kurzeinsätzen bei einzelnen Rennen.

Er performt gut, wird aber nicht mit einem Vertrag belohnt. Das Taschenmesser wird zur B-Ware. Trotzdem gibt der Emmericher nicht auf: "Ich bereue nichts, ich sehe die Formel 1 nicht als unerledigtes Geschäft. Ich habe über Jahre hinaus konstant Leistung gebracht. Ich finde, das spricht für eine gewisse Qualität." 

Das Comeback des unglaublichen Hulk

Die Geduld wird belohnt: Ende 2022 stattet das Haas-Team Hülkenberg mit einem Vertrag aus. Er ersetzt seinen Landsmann Mick Schumacher. Und wie sollte es anders sein: "Hulk" liefert! Mit einem schwachen Wagen liefert er gute Ergebnisse ab und fährt in Australien sogar auf Rang sieben. "Er ist reingekommen und es hat sofort geklappt. Wir haben gewusst, dass er gut ist, aber dass er sofort in Form kommt, das wussten wir nicht", schwärmt Teamchef Günther Steiner.

Das Haas-Team ist von Nico Hülkenberg begeistert.
Das Haas-Team ist von Nico Hülkenberg begeistert.AFP

Die Leistungen Hülkenbergs werden belohnt: Ein neuer Vertrag ist nur noch eine Frage der Zeit. Dank seiner guten Leistungen sind auch andere Teams am Deutschen interessiert. Spekulationen um ein Cockpit bei Red Bull kochen immer wieder hoch.

In Spa will er erneut angreifen, der angesagte Regen könnte ihm dabei einmal mehr in die Karten spielen: "Es kann uns eigentlich nur helfen, allerdings ist Spa im Regen immer ein Krimi. Da kann immer alles passieren", so der mittlerweile 35-Jährige. Sicher ist: Egal was passiert, das Schweizer Taschenmesser hat noch lange nicht ausgedient.